Warum viele Menschen nie finanziell unabhängig werden

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…und warum sie dem Kapitalismus dafür die Schuld geben.

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„Ich will unabhängig sein. Und das beste Mittel für Unabhängigkeit ist Geld.“ – André Kostolany

In einer lauen Sommernacht und bei einem Bier hatte ich neulich ein interessantes Gespräch. Es ging zunächst allgemein um die Altersvorsorge, Kapitalanlage und die Rente. Wie es in Zuge dessen kommen musste, kam die Finanzkrise von 2007 ins Gespräch und ihre Auswirkungen auf „den kleinen Mann“.

Mir wurde von einem Fall erzählt, in dem ein Ehepaar in ihren Fünfzigern einen großen Teil ihres Ersparten (ca. 40.000 Euro) anlegen wollte, um nach 10-15 Jahren ein hübsches Sümmchen herauszubekommen. Da die beiden aber mit Finanzen nicht viel am Hut hatten, gingen sie zur nächsten Bank und ließen sich beraten. Dem Bankberater wurde dargelegt, dass man aus seinem Geld möglichst viel machen wolle und was er denn da vorschlagen würde. Der Berater riet dazu doch die gesamte Summe in Anleihen der US-Bank Lehman Brothers zu investieren.

Das Ehepaar, nennen wir sie die Müllers, hatten von dieser Bank noch nie etwas gehört. In den USA waren sie noch nie und in ihrem Ort hatten diese Gebrüder Lehman keine Filiale. Der Berater wiegelte ab: „Das ist eine US-Amerikanische Großbank mit langer Tradition. Eine echte Größe im Bankenwesen. Und schauen Sie sich mal die Zinsen an, die Lehman Brothers für seine Anleihe zahlt. Fantastisch!“. Die Müllers fanden das wahrlich fantastisch. Das fantastischste überhaupt war die Zahl, die am Ende stand. Die Summe also, die sie nach 10 Jahren zurückbekommen würden. Diese Summe würde das Fundament ihrer Altersvorsorge darstellen. „Herr Bankberater, das klingt einer Gelegenheit, die wir uns nicht entgehen lassen können. Wohin dürfen wir unser Geld überweisen?“.

Wie die Geschichte weitergeht, kann man sich leicht vorstellen. Nach der Pleite von Lehman Brothers war ein Großteil des Geldes erstmal weg. Die Müllers waren darüber zornig. Man hatte sie doch über’s Ohr gehauen! Man rief sogar die ARD an und diese, entzürnt über die Machenschaften der Banken, produzierte kurzerhand eine Dokumentation über die Müllers. Dort empörten sich die Müllers. Der Berater hätte sie nicht korrekt aufgeklärt. Sie holten die Anlagepapiere raus und hielten sie in die Kamera. Ja da stand zwar was vom möglichen Totalverlust aber das habe man ja nicht ernst genommen. Man könne vom Otto Normalverbraucher auch nicht erwarten, das ganze Fachchinesisch zu verstehen. Außerdem sah die Rückzahlung einfach so verlockend aus. Und jetzt ist fast alles weg. Der betrügerische Bankberater ist schuld! Der entfesselte Kapitalismus ist schuld! Die Politik ist schuld!

Wem man die Schuld gibt, dem gibt man die Macht.

Ist das so? In meiner Gesprächsrunde gab es daran keinen Zweifel. Die Aufgabe des Bankberaters sei es, den Kunden aufrichtig zu beraten und das habe er nicht getan.

Da habe ich keinen Einwand – Wenn ich mich bei einer Bank beraten lasse, ist meine Erwartungshaltung, dass der Berater in meinem Interesse handelt. Und dennoch: Die Müllers haben genauso viel Mitschuld an ihrer Misere.

Die Müllers haben ihr Erspartes, immerhin stolze 40.000 Euro über die letzten 20 Jahre mühsam angespart. Das ist mehr als löblich. Jetzt entscheiden sie sich, diese Summe anzulegen, um in 10 Jahren mehr aus ihrem Geld gemacht zu haben. Sie gehen zum Bankberater und lassen sich beraten. Bis hier hin keine Einwände. Der Berater schlägt ihnen eine Option vor, die Rendite sieht gut aus, die Müllers schlagen zu.

Und hier regt sich bei mir das Unverständnis aufgrund von drei Dingen:

  1. Blindes Vetrauen in den Bankberaterfinanziell unabhängigIch halte es nicht für falsch sich beraten zu lassen. Das ist sogar sehr weise, wenn man sich mit Finanzen nicht gut auskennt. Ich glaube auch nicht, dass es gut ist an allem und jeden zu Zweifeln. ABER wenn es um meine gesamten Ersparnisse geht, mache ich mir doch Gedanken um die Rolle des Beraters. Bei den Müllers lief das so ab: „Wir haben seit 30 Jahren unser Sparbuch bei der Bank. Wir vertrauen der Bank und sie wird uns gut beraten.“ Soweit so gut. Lilly aus der TV-Serie „How I Met Your Mother“ würde jetzt fragen: „Where’s the poop?“. Wo ist der Haken?
    Warum berät mich die Bank? Geht es ihr um mein Wohlbefinden? Tut sie es aus Dankbarkeit mein Girokonto 30 Jahre geführt haben zu dürfen?
    Ein einfacher Gedanke wäre doch gewesen „Woran verdient hier die Bank?“. Zahle ich dem Berater ein stundenbasiertes Honorar für seine Leistungen? Nein.
    Der Berater verdient an Provisionen. Er ist mithin de facto kein Berater, sondern ein Verkäufer. Daran ist nichts verwerflich aber meine Haltung gegenüber einem Verkäufer ist eine andere als gegenüber einem Berater. Ich weiß, dass ein Verkäufer das verkaufen will, woran er am besten verdient. Das ist ganz natürlich. Aber stimmt nicht stets mit dem überein, was für mich am sinnvollsten ist. Das ist keine Tiefenpsychologie sondern gesunder Menschenverstand.
  2. Man kauft die erste Option, die einem angeboten wirdfinanziell unabhängigDie Müllers haben sich bestimmt schon einige Autos in ihrem Leben gekauft. Und ich gehe jede Wette ein, dass die Entscheidung für ein Modell mehr Zeit in Anspruch genommen hat, als die für ihr Geldanlage. Vor allem werden sie über Wochen Modelle und Marken miteinander verglichen haben. Sobald die Entscheidung auf ein Modell gefallen war, haben sie einen Test in der Auto Bild gelesen. Note 2,3 – alles tip top. Im letzten Schritt haben sie dann Autohändler abgegrast um das beste Angebot zu finden. Das günstigste Angebot haben sie akzeptiert.
    Eine informierte Kaufentscheidung. Aber für die Altersvorsorge wurde nicht mal ein Gegenvorschlag eines anderen Beraters eingeholt? Das klingt absurd in meinen Ohren!
    Die Erklärung hierfür ist jedoch simpel: Das Auto ist ein Statussymbol, eine emotionale Sache und für viele Menschen eine Passion. Geldanlage dagegen ist für die meisten Menschen lästig, angsteinflössend und langweilig. Schnell weg mit der Entscheidung. Und wenn sie ein anderer für mich trifft – um so besser.
  3. Pure Faulheit und Desinteressefinanziell unabhängigWir leben in einem Zeitalter, in dem es so einfach ist an Informationen zu kommen wie noch nie zuvor. Das heißt allerdings nicht, dass jeder diese Möglichkeiten auch wahrnimmt. Das Thema Finanzen erscheint den meisten Menschen als komplex, schwierig und langweilig. Sich damit näher zu befassen ist anstregend, zeitaufwendig und macht keinen Spaß. Außerdem haben die Müllers schließlich kein BWL studiert, sie können es ja gar nicht besser wissen…

Im letzten Punkt, dem Treffen von uninformierten Entscheidungen, regte sich bei mir das größte Unverständnis während dem Gespräch. Ich meinte: „Die Müllers trifft eine große Mitschuld. Sie haben sich blind auf den Bankberater verlassen, ohne sich selber zu informieren. Das ist dumm.“ Meine Gesprächspartner hatten hierfür kein Verständnis. Es wäre doch die Aufgabe des Bankberaters hier aufzuklären. Und früher sei das ja auch so gewesen. Aber in den letzten Jahren hätte ein entfesselter Kapitalismus dazu geführt, dass nur noch Profit zählt. Und der kleine Mann hat da einfach keine Chance mehr.

Dafür habe ich wiederum kein Verständnis. Jedem steht eine riesige Bandbreite an Informationen zu dem Thema zur Verfügung. Es gibt Bücher, Blogs, Videos, Podcasts und Artikel, für die man weder Vorahnung noch ein Wirtschaftsstudium benötigt. Und das Argument, dass den Menschen einfach die Zeit fehlt um sich mit dem Thema zu befassen, halte ich für lachhaft. Der Durchschnittsdeutsche glotzt jeden Tag 223 Minuten in den Fernseher. Das sind fast vier Stunden! Pro Tag! Ich habe also Zeit mir Circus Halligalli reinzuziehen aber nicht um mich mit meiner finanziellen Zukunft zu beschäftigen? Dabei würden hier doch jeden Abend zwei Stunden für eine einzige Woche ausreichen um ein gutes Grundwissen aufzubauen.

Ein sehr sehr deutsches Sprichwort lautet „Über Geld spricht man nicht, Geld hat man“. Diese Grundhaltung macht die Deutschen zwar zu weltberühmten Sparern aber miserablen Investoren. Warum diskutiert man mit Freunden die letzte „Schlag den Raab“ Folge aber nie seine Altersvorsorge? Ja, ist wenig sexy. Aber weißt du was richtig unsexy ist? Altersarmut und fatale Investitionsentscheidungen.
Klar, es macht wenig Spaß sich mit Vermögensaufbau zu befassen. Doch gerade diejenigen, die für jeden Euro hart schuften, sollten es sich selber schuldig sein.

Mir wurde im Anschluss vorgeworfen, ich hätte eine realitätsfremde Weltanschauung. Ein verqueres Menschenbild! Vom Durchschnittsbürger könne man das nicht verlangen. Er hat auch einfach keine Chance gegen den raffgierigen Kapitalismus.

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Auch hier fällt es mir wieder schwer den Gedankengang nachzuvollziehen. Ja, ich traue es fast jedem Menschen zu, sich alle notwendigen Informationen zum Thema Geld anzueignen. Ja, ich glaube jeder kann das Thema Geldanlage in seine eigenen Hände nehmen. Nein, das ist kein Garant für Reichtum aber macht gute Entscheidungen wahrscheinlicher und verringert die Abhängigkeit von Beratern. Ich sehe das als ein sehr positives Menschenbild an. Es spiegelt die Ansicht wider, dass jeder Mensch das Potenzial besitzt, eigenständige Entscheidungen zu treffen. Dagegen geht die Ansicht meiner Gesprächspartner eher in die Richtung, der Staat müsse seine Schäfchen hüten.

Der Kapitalismus ist weder böse noch gut. Er belohnt diejenigen, die sich informieren und das System für sich nutzen und es bestraft die anderen. Auch der Staat spielt eine unverzichtbare Rolle. Es ist seine Aufgabe Chancengleichheit herzustellen und den Benachteiligten und Ärmsten der Gesellschaft zu helfen. Das ist Teil unseres Sozialsystems und eine riesige Errungenschaft. Doch was ich vom Staat nicht erwarten kann, ist ein All-Inclusive rundum Wohlfühlpaket, Altersversorgung inklusive, Schutz vor dummen Entscheidungen inklusive.

Wer finanzielle Freiheit erreichen möchte, muss sich informieren. Wer Freiheit genießen will, muss einen Teil seiner Sicherheit aufgeben. Eine totale (staatliche) Sicherheit zu Lasten meiner Freiheit, ist für mich eine Horrorvorstellung. Ich setze lieber auf eine informierte Gesellschaft, in der jeder Eigenverantwortung übernimmt: Für sich, seine Zukunft und nicht zuletzt seine Finanzen.

Lieber Leser, die Tatsache, dass du diesen Blog liest, zeigt mir: Du bist auf dem richtigen Weg.

Cheers.

 

 

6 Kommentare

  1. Hey Pascal,

    ein schöner Beitrag, welcher mehr Eigenverantwortung fordert. Ich sehe das wie du und musste mir selbst auch Zeit nehmen, um die Begrifflichkeiten und Strategien rund um Investitionen an der Boerse zu lernen. Bei der Kapitalismuskritik musste ich schmunzeln, weil ich genau dasselbe erzähle: Nutze doch das System und informiere dich. Das soll natürlich nicht darueber hinwegtaeuschen, das Kapitalismus auch seine Tücken hat.

    LG
    Johannes

    • Hi Johannes,
      besten Dank für deinen Kommentar.
      Große Resonanz bei mir zu deinem Kommentar das System zu nutzen. Ich stimme dir da zu. Ich bin sicherlich weit davon entfernt ein Kapitalismus-Enthusiast zu sein. Den Verwerfungen, die dieses System mit sich bringt bin ich mir bewusst.
      Für jeden einzelnen bieten sich da jedoch nur zwei Optionen: sich der Realität zu verschließen und dem Kapitalismus die Schuld an allen Problemen geben oder Zeit investieren das System zu verstehen und das Beste daraus zu machen.
      Nun, die Mehrheit entscheidet sich für den bequemen Weg…
      Danke nochmal für deinen Kommentar und beste Grüße
      Pascal

  2. Hallo,

    super Artikel. Ich bin der gleichen Meinung wie Du. Selbst informieren, entscheiden und die Konsequenzen selbst tragen. Ich vermeide solche Themen mittlerweile im Freundes- und Bekanntenkreis.

    Man wird ja schon schief angeschaut, falls man erwähnt das man in Aktien investiert. „Ja hatte ich auch mal, nur Verluste“.

    Außerdem bewegt man sich schnell auf Stammtischniveau und Platitüden: die da oben, der kleine Mann, man wird nur abgezockt, Aktien zu unsicher, Staat muss sich kümmern etc…

    Gruß
    Fuseboroto

    • Hallo Fuseboroto,
      Dankeschön für deinen Kommentar!

      Ich muss dir leider Recht geben. Der gesellschaftliche Konsenz zur Börse scheint negativ zu sein. Sie hat den Ruf das Casino der Reichen und das Schlachthaus der Mittelschicht zu sein. Schade, dass Unkenntnis sich meist in falschen Vorurteilen äußert.

      Aber gerade dafür finde ich die Finanzbloggerszene perfekt: Unvoreingenommener Austausch mit Menschen, die bereit sind Zeit zu investieren um zu lernen ihr Geld selber anzulegen. Und dann meist feststellen: gar nicht so komplex!

      Viel Erfolg auch mit deinem Blog, ich freue mich dort öfters vorbeizuschauen.

      Beste Grüße
      Pascal

  3. Hi,
    sehr schöner Artikel. Gefällt mir sehr gut. Selbstverantwortung und Handeln ist wohl der zweite Schritt. Sich mit dem Thema beschäftigen, Bücher darüber lesen und sich mit Menschen austauschen, die schon finanziell unabhängig, der Erste. Besonders Klasse finde ich: „Wem man die Schuld gibt, dem gibt man die Macht.“
    LG Henning

    • Hi Henning,

      Danke dir!

      Guter Punkt. Das richtige Umfeld zu schaffen ist enorm wichtig. Der persönliche Austausch fruchtet deutlich besser als Bücher, wobei diese für die Tiefe enorm wichtig sind. Gleichermaßen ist es sehr schwierig sich das geeignete Umfeld zu schaffen. Wenn für Familie und Freunde Vermögensaufbau nur etwas für „die da oben“ ist, wird es schwierig sie vom Gegenteil zu überzeugen. Gut, dass das Internet hier vielfältige Austauschsmöglichkeiten bietet.

      Beste Grüße
      Pascal

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