Yo Ho, Yo Ho! – Das Leben der Finanzpiraten!

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Yo Ho mein Freund! Schnapp dir ein Becher Rum, setze dich zu mir ans Lagerfeuer und lausche was ich dir über einen ganz besonderen Haufen Menschen unserer Zeit zu erzählen habe. Ich möchte dir eine wahre Geschichte erzählen. Über eine Spezies, der du vielleicht andauernd im Alltag begegnest. Du wirst sie vielleicht nicht sofort erkennen, denn ihre Vertreter leben nach außen hin ein ordinäres Leben. Sie sind Studenten, Autoverkäufer, Buchhalter, Manager und Lehrer bei Tage. Doch gleichzeitig sind sie vor allem eines: Finanzpiraten!

„Take what you can, give nothing back“ – Captain Jack Sparrow

Getrieben von dem tiefen Wunsch nach Freiheit, beschloßen die Finanzpiraten der Lethargie ihrer Generation zu entsagen. Der gesellschaftliche Kodex der Arbeit bis zum 67ten Lebensjahr war für sie nicht mehr attraktiv. Dem Versprechen des Staates, sie nach getaner Arbeit zu umsorgen, vertrauten sie nicht mehr. Dem ständigen Konsum, gerne auch auf Pump, konnten sie nichts abgewinnen. In dem täglichen 9 to 5 Dasein sahen sie ihre Wünsche unterdrückt und ihre persönliche Freiheit eingeschränkt. Das Geld, das so verlockend all die lang gehegten Sehnsüchte zu erfüllen vermag, schien immer mehr zu einer Schlinge zu werden. Und mit jedem neuen Kredit, dem neuen Auto und dem angezahlten Haus zog sie sich immer enger zu. Ehe man sich versah, spielte Geld und das tägliche Streben danach die größte Rolle im Leben. Je mehr man davon für Konsum ausgab, desto wichtiger schien es zu werden. Nachschub musste her, es musste mehr gearbeitet werden. Denn dann konnte schließlich auch mehr konsumiert werden. Das nächste Auto winkte, der Pool im Garten machte einem schöne Augen und der tägliche Vanilla Latte stand im Café um die Ecke schon bereit. So lief man sehenden Auges in die Zwickmühle aus Konsum und Geld.

Doch, so lass mir dir sagen, diese Gruppe spezieller Menschen beschloss aus dieser Zwickmühle zu entkommen. Das Geld, einst ihre gesellschaftliche Fessel, sollte endlich für sie arbeiten. Es sollte sie einen Schritt näher in die Freiheit und zur Erfüllung der persönlichen Träume bringen, und nicht nur zum nächsten Pauschalurlaub auf Mallorca. Die Finanzpiraten entrissen also den Klauen des Konsums ihr Geld und kauften sich ein Ruderboot. „Ein Ruderboot?“, fragst du? Oh ja, mein junger Freund. Ein Ruderboot, mit welchem die See der Finanzen durchkreuzt werden sollte. Und, sollte der Kompass korrekt ausgerichtet sein, der Sextant in professionellen Händen liegen und die Ruder von Meisterhand geschnitzt worden sein, so wartet auf der anderen Seite die finanzielle Freiheit.

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Doch frohlocke nicht zu früh, mein Freund! Die Finanzsee ist stürmisch und voller Tücken. Schon viele nahmen die Überquerung in Angriff und waren nie mehr gesehen. Die See mag den einen Tag ruhig erscheinen, die Sonne mag scheinen und der Wind einem holt sein. Doch schon am nächsten Tage kommt ein Sturm auf, der einen zwingt die Route zu ändern, er vermag das kleine Boot um hunderte Kilometer zurückzuwerfen und das beste Ruder zerbersten. Zu sagen, die Finanzsee sei angsteinflößend, ist also eine glatte Untertreibung, mein Freund.

Die meisten Menschen träumen zwar in jungen Jahren von ihrer Überquerung, doch geben ihren Traum schnell wieder auf. Die Verlockungen an der Küste sind einfach zu groß: Warum auf eine ungewisse Reise gehen, wenn ich mir statt des Ruderboots ein neues Auto leisten kann? Und leisten kann ich es mir, ich verdiene schließlich ein monatliches Gehalt.
Die Zukunft ist für diese Menschen, immer noch die Mehrheit der Gesellschaft, ein ferner Ort. Umarmt von staatlicher Umsorgung und kontinuierlich bestätigt durch mediale Beschallung sorgen sie sich nicht. Der Konsum ist die Maxime, die Zukunft kommt morgen und der Genuss heute erfreut das Herz mehr als Verzicht für Genuss morgen.

Doch, mein Freund, einige dieser Menschen wünschten sich neben dem Konsum heute auch ein gutes Leben im Alter. Jedoch fühlten sie sich nicht seetauglich. Schon das Wort „Sextant“ drückte für sie die Komplexität einer Finanzsee-Überquerung aus. Das Navigieren eines Schiffes schien eine jahrelange Ausbildung zu erfordern und die Verantwortung sein eigener Kapitän zu sein, lastete schwer auf den Schultern. Und so wurden sie zu leichten Opfern der königlichen Marine. Die königliche Marine verfügte über eine beeindruckende Flotte an Galeeren, gesteuert von erfahrenen Experten und den besten Absolventen der königlichen Seefahrtsakademien. Auf den Galeeren schien eine unbeschwerte Überfahrt möglich. Es wurde sich um alles gekümmert und man fühlte sich stets in besten Händen. Der Adjutant erläuterte einem die komplexe Route, die man zur Überquerung der Finanzsee einschlagen vermochte. Man verstand zwar nicht ganz aber der Adjutant berichtete von vergangenen, äußerst erfolgreichen Überfahrten. Und diese All-Inklusive Überfahrt war schon für einen kleinen Beitrag zu erwerben. Ein lächerlicher Betrag, angesichts der gebündelten Expertise auf den Galeeren.
Viele Menschen beschloßen sich ein Ticket zu lösen. Sie lehnten sich zurück und erwarteten eine entspannte Überfahrt…. Viele dieser hoffnungsvollen Abenteurer waren nie wieder gesehen, einige erreichten zwar die Küsten, doch handelte es sich nicht um den Sehnsuchtsort der finanziellen Freiheit, sondern die steinigen Kliffen des Bedauerns. Nur einige wenige sollen ihr wahres Ziel erreicht haben.

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Die Finanzpiraten jedoch beschloßen die Überfahrt in die eigenen Hände zu nehmen. Die wenigsten von ihnen genossen eine Ausbildung in der Seefahrtsakademie, doch die Szene der Finanzpiraten half sich gegenseitig. Es stellte sich erstaunliches heraus: Die Seefahrt ist in ihren Grundzügen gar nicht komplex. Jeder konnte sich in den Spelunken am Hafen das nötige Wissen aneignen. Und selbst das kleinste Ruderboot schien seetauglich genug, um zur ersten Etappe aufzubrechen.

Stell dir vor, mein treuer Freund, die Finanzpiraten schoben also im Morgengrauen ihre Ruderboote ins Wasser, riefen der königlichen Marine ein saftigen „F*ck you!“ zu und machten sich auf die lange Reise.

Die See war ruhig und die Piraten froh gestimmt. Auf dem Weg zum angestrebten Hafen wurde geangelt und über die Erfahrungen auf der Finanzsee wurden Tagebücher geschrieben. Als der erste Etappenort erreicht war, wurde der Überschuss an Fischen an die örtlichen Händler verkauft. Auch die verfassten Tagebücher fanden bei in den Büchereien ihre Abnehmer. Die Finanzpiraten waren froh die erste Überfahrt überstanden zu haben und hätten mit dem verdienten Geld den feinsten Rum der Insel kaufen können. Doch anstatt dessen, marschierten sie zur örtlichen Werft und tauschten ihre Ruderboote und das überschüssige Geld gegen kleine Jollen. Mit diesen versprach die nächste Etappe schneller genommen zu werden, mehr Fisch konnte auf ihnen transportiert werden und sie waren sicherer vor Unwettern.

Und so segelten sie von Hafen zu Hafen, gemächlich zwar, doch immer größere Distanzen nehmend. Einigen Finanzpiraten jedoch erschien die Reise zu langsam und stumpfsinnig. Sich vom Wind treiben zu lassen und Stück für Stück sein Schiff auszubauen, war ihnen zu langweilig. Zur Küste der finanziellen Freiheit müsse es doch auch kürzere Routen geben. Mit all ihrer Erfahrung sei es doch gewiss möglich, klüger als der vorgegebene Wind zu sein. Diese Gruppe traf auf ihrer Suche nach neuen Möglichkeiten auf einen Edelmann. Der Edelmann residierte auf einer der Insel, die sie auf ihrer Reise passierten. Der Edelmann schien weise und sein Reichtum unterstrich seine Expertise. Er gab sich beeindruckt von den improvisierten Schiffen der ehemaligen Finanzpiraten und wollte mehr über ihre Reise wissen. Die Gruppe erzählte ihm von ihren Fortschritten und der Begeisterung der ersten Monate als Finanzpiraten. Ebenso berichteten sie von ihren Zweifeln und dem Bedürfnis besser zu sein als der Wind. Der Edelmann strich durch einen Bart und stellte in Aussicht eine Lösung zu haben. Anstatt auf den Wind zu hören und mit der Gruppe der Finanzpiraten die bekannten Routen zu nehmen, empfahl er sich näher an der Küste zu bewegen, neue Routen zu erforschen und auch bei schlechtem Wetter auszulaufen. Das leicht erhöhte Risiko würde sich bezahlt machen. Riesige Schritte in Richtung der finanziellen Freiheit seien so in kürzester Zeit möglich.
Die Gruppe war fest entschlossen dem Rat des Edelmannes zu folgen und trennte sich von den übrigen Finanzpiraten. Sie nannten sich von nun an die „Bändiger des Windes“ und machten sich zur Aufgabe den Wind zu schlagen. Einige von ihnen konnten durch waghalsige Manöver und gefährliche Routen große Profite machen. Die Mehrzahl, mein Freund, lief jedoch auf Grund oder kenterte in stürmischen Gebieten der Finanzsee.

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Der Rest der Finanzpiraten nahm seinen Weg wieder auf und segelte mit dem Wind. Auch sie hatten nicht immer gutes Wetter. Der Wind hat ein eigensinniges Wesen. Vor allem aber ist er unberechenbar. Mal ließ er die Finanzpiraten schnelle Fortschritte machen und sie jauchzten ob ihrer immer größer werdenden Schiffe und den gut gefüllten Speisekammern. Dann, kurze Zeit später, tobte der Wind erbost und wurde zu einem kräftigen Sturm, der den Fortschritt der letzten Monate auf einen Schlag zunichte machte.

„Frustrierend“, sagst du, mein Freund? Oh ja! Doch die Finanzpiraten sind eine sturrköpfige Sippe. Vielleicht passen sie deshalb ja auch so gut zum Wind. Immer wieder hissen sie die Segel, bessern die Sturmschäden aus und setzen erneut Kurs auf die finanzielle Freiheit. Ihre Reise ist kein Wochenendtrip, kein Inselhopping und keine Kreuzfahrt. Ihre Reise kommt der Reise des Lebens gleich. Sie hat ein klares Ziel, doch schon der Weg dahin ist Teil der Belohnung. Der Finanzpirat lernt auf seinem Weg die wahre Unabhängigkeit kennen und das gute Gefühl von seinem Segelboot aus „F*ck You!“ in Richtung Küste rufen zu können. Die Reise ist keine stetige Annäherung an sein Ziel, doch auf lange Sicht kommt er der finanziellen Freiheit immer und immer näher. Das Ruder fest in der einen Hand, die Flasche Rum in der anderen und alle Segel gehisst, blickt er grinsend in Richtung Horizont.

Yo ho, yo ho, a pirates life for me!

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8 Kommentare

  1. Hallo Pascal,

    endlich habe ich es wieder auf fyoumoney geschafft…und es hat sich gelohnt!
    Eine sehr durchdachte und gut geschriebene Geschichte. Hab mitgefiebert, geschmunzelt und gelacht.

    Aufs Piratendasein
    Johannes

    • Hi Johannes,

      besten Dank für’s Kompliment 🙂

      Und willkommen zurück in der Heimat! Ich hoffe du konntest deinen Urlaub in Kroatien trotz der unschönen Überraschung vom Tankstellenbesitzer genießen.

      Auch dir stets vollen Wind in den Segeln!
      Pascal

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