Von der Freude an der Langeweile

Freude an der Langeweile

Ich bin ein Langweiler. Also bezogen auf mein Anlageverhalten! In den übrigen Lebensbereichen kann ich mich nicht über Monotonie beklagen. Wenn es im Kollegen- oder Freundeskreis um Finanzen geht, rede ich gerne mit. Doch sobald sich der Fokus auf meine persönliche Investitionsstrategie legt, bin ich nach wenigen Sätzen durch. Das finden die meisten langweilig. Einige unterstellen mir gar, wertvolle Rendite liegen zu lassen. Außerdem müsse ein kluger Investor mindestens dreimal täglich den Markt im Auge behalten und ohne Handelsblatt-Abo wird es eh schwer.

Freude an der Langeweile

„Langeweile ist ein böses Kraut, Aber auch eine Würze, die viel verdaut.“ – Goethe

Doch ich empfinde größte Freude an der Langeweile. Ich lese zwar viel in der Finanzblogszene, schaue auch mal auf einschlägigen Onlineportalen vorbei und lese das ein oder andere Paper aus der Finanzwissenschaft, doch mein Anlageverhalten vermögen diese Dinge kurzfristig nicht zu tangieren. Wenn Kollegen über die untere Widerstandslinie vom DAX und ein etwaiges verkaufen debattieren, sind meine Gedanken vermutlich gerade bei alten Rennrädern oder ich beschäftige mich mit der Frage ob man beim Hellseher einen Termin vereinbaren muss.

Ich habe mir meine Anlagestrategie mit dem Leitsatz „Langfristig & Einfach“ ausgesucht. Das hat für mich vor allem zwei Gründe. Erstens interessiert mich das Thema Geld und Vermögensaufbau zwar brennend, doch ich habe keine Zeit und Lust mich mit meinen Anlagen andauernd auseinander zu setzen. Vielseitige Interessen verlangen nach Zeit und Aufmerksamkeit und ich gebe sie diesen lieber als dem Finanzmarkt. Zudem wirken Privatanleger, die sich selber als „Trader“ bezeichnen, irgendwie immer gehetzt und gestresst. Jede neue Schlagzeile von Focus Money scheint sie bis in ihre Träume zu verfolgen. Kommt die Jahresendrallye oder doch der Absturz? Fragen über Fragen und für jede gibt es ein eigenes Finanzprodukt als Antwort. Puh, ganz schön viel Stress…

Der zweite Grund ist noch deutlich überzeugender: Es ist einfach nicht notwendig ein aktiverer Investor zu sein. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass aufgewendete Zeit und Rendite positiv miteinander korrelieren. Wer jede Bewegung des DAX im Realtimechart im Auge behält, weiß trotzdem nicht wohin die Reise geht. Professionelle Fondsverwalter können den Markt langfristig auch mit Harvard-Studium und 5.000$ Nadelstreifenanzug nicht schlagen. Warum sollte ich dann also die Arroganz aufbringen, zu meinen, ich könne es?!

Niemand möchte gerne ein Langweiler sein

Freude an der Langeweile

„Wie, du glaubst wirklich ein Depot aus 3-4 ETFs ist ausreichend? Willst du dich wirklich mit dieser Babyrendite zufrieden geben? Und was wenn die internationalen Märkte baden gehen, hast du gar keine Hedge-Put-Option?“, fragte der Anlageberater und Helmut kam ins grübeln. Was wenn er Recht hat? Eine so einfache Strategie kann mich gewiss nicht perfekt absichern. Und die Märkte scheinen derzeit sehr volatil zu sein! Außerdem stand doch im Internet neulich was vom Renditepotenzial der Kaffeeindustrie. Will ich wirklich am Ende der Depp sein, der das nächste Apple nicht im Depot hat?

Das möchte Helmut natürlich nicht. Helmut ist ein informierter Investor. Und Informationen gibt es ja wie Sand am Meer. Mit jedem Blogartikel, jedem Tratsch unter Kollegen und jeder Ausgabe von Focus Money konsumiert Helmut neue Anlageideen. Sie begeistern ihn alle und er will keinen heißen Tipp verpassen. Er schließt sich Facebook-Gruppen mit Tradern an und behält den Markt Tag und Nacht im Auge. Kein Index dieser Erde bewegt sich ohne das Helmut es wahrnehmen würde. Helmut hält Wache. Helmut reagiert mit seinen Trades. Helmut called und puttet. Helmut hedged und analysiert. Weil er der Held ist, den die Börse verdient, aber nicht der den sie gerade braucht. Die Kursschwankungen jagen ihn, doch er kann es ertragen. Er ist kein Held, er ist ein stiller Wächter, ein wachsamer Beschützer, ein dunkler Ritter. Er ist Battrader…

Helmut prahlt gerne über seine Trading-Aktivitäten. Die Damen scheinen zwar wenig begeistert, doch bei seinen Kumpels trägt Helmut schon den Spitznamen Gorden Gecko. Kaum erzählt er von seiner letzten Aktienanalyse und dem darauffolgenden Kauf einer Call-Option, schon vermag er dem C&A-Anzug einen Hauch von Wallstreet einzuhauchen. Fragen nach Aktientipps schmeicheln Helmut und er gibt bereitwillig Auskunft. Denen, die nicht mit einem goldenen Daumen geboren sind, hilft er auf seinem Blog weiter. Sein Motto: Making the world a better place: Trade by trade.

Nachdem Helmut durch anfängliche Erfolge ermutigt wurde, schleicht sich nach einiger Zeit jedoch Ernüchterung ins Depot. Die Rendite hinkt der Marktrendite hinterher und wurde durch hohe Transaktionskosten teuer erkauft. Dazu kommt eine Menge Stress und Zeit.

Die Freude an der Langeweile

Freude an der Langeweile

Ich erfreue mich an den Helmuts dieser Welt. Viele amüsante Artikel und Geschichten der Finanzblogszene wären ohne sie nie entstanden. Gelegentlich lese ich auch lieber noch eine Aktienanalyse für den Lacher vorm Schlafen als mir Comedy im Fernsehen reinzuziehen.

Doch selber möchte ich kein Helmut sein. Es ist mir zu stressig und zeitaufwendig. Außerdem ist es mir langfristig um die verpasste Rendite zu schade. Ich bin da eher langweilig unterwegs. Ein paar breitgestreute Index-ETFs, Anleihen und wenige Einzelaktien, gut ist. Diese werden regelmäßig bespart und das unabhängig von der momentanen Marktsituation. Wenn der Markt bergab geht, verkaufe ich nicht, sondern kaufe günstig nach. Geht er berauf, so verkaufe ich nicht um Gewinne zu realisieren. Im Prinzip ist es ein stoischer Prozess, der auf Langfristigkeit angelegt ist. Er fußt in dem Glauben, dass es langfristig mit der Wirtschaft immer bergauf geht und dass sich Stock-Picking nicht lohnt.

Ich schaue auch nicht täglich in mein Depot. Allerhöchstens rebalance ich einmal im Jahr oder kaufe mal außerhalb des Sparplans nach. Das ist wirklich langweilig. Damit bin ich kein Held auf Parties und Mädels werfen mir keine Schlüpfer zu. Mich fragt online niemand nach Aktien-Tipps und Geschichten von waghalsigen Trades habe ich auch keine.

Dafür empfinde ich jedoch große Freude an der Langeweile. Meine Geldanlage beansprucht wenig gedankliche Kapazität. Ebenso ist sie keineswegs zeitaufwendig. Die Zeit, die Helmut für das Analysieren einer Aktie verwendet, nutze ich für eine Runde Sport oder ein gutes Buch. Ebenso stresst mich mein Depot nicht. Wenn es mal zeitweise im Minus ist, dann ist das halt so. Meinen Adrenalinschub kann ich mir in anderen Bereichen meines Leben holen.

Ich bleibe also auch in der Zukunft Finanz-Langweiler aus Überzeugung.

 

Und wie hältst du es mit dem Investieren? Brauchst du den Thrill eines Trades? Ist Anlegen für dich vielleicht nicht nur Vermögensaufbau, sondern Hobby?

Cheers.

8 Kommentare

  1. Cheers Langweiler;)
    Wie mein Name schon sagt, picke ich stocks. Jeden Monat kaufe ich mir für 2000-3000€ Anteile an 1-2 Unternehmen. Bei der Onvistabank ist das, Dank Freebuysystem, fast kostenlos (keine Transaktionsgebühren). Ich verwende nicht übermäßig viel Zeit auf Aktienanalysen, sondern schieße einfach das, was mir gerade so vor die Flinte läuft. Bisher waren das fast ausschließlich europäische und amerikanische Bluechips. Verkauft habe ich noch nie. Klar versuche ich damit auch ein wenig Markettiming zu betreiben obwohl mir bewusst ist, dass man darauf nicht allzuhoch bauen sollte. Aber es macht mir eben Spaß, über allgemeine, langfristige, wirtschaftliche Trends zu sinieren und auch mal eine Unternehmensbilanz zu lesen.

    Warum so kompliziert wenns auch einfach mit ETFs geht?

    Ich sehe zwei harte Punkte, die für direktes Aktieninvestment sprechen.
    1. Auch bei ETFs entstehen Gebühren (Stichwort TER), die beim Stockpicking nicht anfallen
    2. Man erwirbt mit direkten Unternehmensbeteiligungen ein ebenso direktes Mitspracherecht an den Unternehmensentscheidungen (Stichwort Aktionärshauptversammlung (Geheimtipp: auf den HVs gibts meistens kostenloses Essen))

    • Hi Stockpicker,

      Danke für deinen Kommentar, spannend über deine Routine zu lesen.
      Ich glaube mit breit diversifizierten Bluechips kann man ebenfalls gut fahren. Insbesondere, wenn man, wie du, auf eine Buy-and-Hold Strategie setzt.
      Was bei dir noch unterstützend hinzukommt, ist dass du monatlich einen recht hohen Betrag investieren kannst. Dadurch kannst du einfacher eine gute Diversifizierung erreichen. Anleger, insbesondere Berufsanfänger mit einem monatlichen Investitionsvolumen von 100-400 Euro, können solch eine Diversifizierung leichter und günstiger mit ETFs erreichen.
      Natürlich kommt bei dir auch noch der Spaßfaktor dazu. Du verbringst gerne Zeit mit Unternehmensbilanzen und Co.

      Zu deinen zwei Punkten:
      1. Ich gebe dir Recht, die ETFs verlangen regelmäßige Gebühren (wobei bei Index-ETFs die TER minimal ist). Das ist bei Aktien nicht der Fall. Wenn ich jedoch regelmäßig Aktien kaufe und dazu eine breite Diversifizierung erreichen möchte, treten auch vermehrt Transaktionskosten auf. Diese habe ich bei Sparplänen nicht.
      2. Guter Punkt. Das sich Kleinaktionäre bei HVs einbringen, ist eine gute Sache und wichtiges Gegengewicht zu intitutionellen Investoren. Ich habe allerdings weder ein gesteigertes Interesse daran, noch die Zeit um mich auf HVs aktiv einzubringen. Die Kartoffelsuppe mit Wurst mache ich mir dann lieber daheim 🙂

      Danke nochmal für deinen Kommentar und beste Grüße
      Pascal

  2. Die Einleitung erinnert mich an meine Anfangszeit des Investierens. Jeden Tag mind. stündlich das Depot checken! 😉
    Stockpicker beschreibt, dass es auch anders als mit ETFs gehen kann, auch wenn dabei ein höheres Risiko eingegangen wird. Allerdings kann nicht jeder jeden Monat 2000-3000€ investieren. Diese Summen führen ja relativ schnell zu einem diversifizierten Depot. Wenn zusätzlich in Bluechips investiert wird, fällt damit das Risiko wieder. Einzelaktien haben Vorteile und auch ich bin in manche Unternehmen direkt investiert. ETFs sind trotz ihrer laufenden Kosten ein tolles Gesamtpaket für geringe Investitionsquoten, aber auch für ein schnelle, diversifiziertes Depot. Die weiteren Vorteile und Nachteile kennen wir ja zur genüge. Ich schließe mich Pascal an:
    „Ein paar breitgestreute Index-ETFs, Anleihen und wenige Einzelaktien, gut ist.“
    Ich kann aber als Inhaber eines „Mischdepots“ auch Stockpicker verstehen. Im Grunde fährt er bei Einzelaktien eine ähnliche Strategie wie wir, nur halt in einem größeren Ausmaß.

    LG
    Johannes

    • Hi Johannes,

      an das stündliche Depot-checken kann ich mich auch noch erinnern. War halt aufregend und ich musste mich immer wieder daran erinnern, dass ich ja langfristig investieren möchte.
      Ich gebe dir Recht, ETFs geben auch Anlegern mit relativ geringen monatlichem Investitionsvolumen die Möglichkeit breit gestreut zu investieren. Die TER für normale, „langweilige“, Index-ETFs sind dabei äußerst gering. Dies ist durch eine Buy-and-Hold Strategie mit Bluechips auch möglich, wenn auch mit mehr Zeitaufwand. Und ich meine auch, dass die Transaktionskosten im Endeffekt die ETF Gebühren wieder ausgleichen.

      Beste Grüße
      Pascal

  3. Hallo Pascal,
    ich lerne deinen Schreibstil zunehmend zu schätzen, weiter so!
    Warum hast du denn in deinem Blog rechts den „Stockticker“, bei dem die Stände der weltweiten Börsen angezeigt werden? Passt irgendwie nicht so recht zu diesem Artikel und Blog. Und ich finde es auch optisch nicht schön.

    Ansonsten, zum Artikel, ich bin auch so eine (Finanz-)Langweilerin 🙂 Ein simples ETF-Depot, Tagesgeld, ein paar P2P-Kredite (aber passiv, ich wähle die nicht manuell aus), und eine Einzelaktie weil es die über meine Firma sehr günstig gab (ähm, das ist nicht nur eine einzige Aktie, aber nur Aktien von einem einzigen Unternehmen). Mehrmals pro Monat oder gar täglich mich um meine Finanzen kümmern? Nein danke, da gibt es Dinge, die mir mehr Spaß machen…

    Ah, ich würde gerne ganz altmodisch per e-Mail über neue Artikel hier informiert werden, habe ich was übersehen oder kann man dir nur per Twitter folgen?
    Danke und Grüße,
    Julia

    • Hallo Julia,
      das freut mich sehr 🙂
      Einfach ist meistens besser und du hast Recht, es gibt spaßigere Dinge im Leben als Geschäftsberichte. P2P-Kredite finde ich auch interessant, wollte mich da aber erstmal einlesen.
      Stimmt, der Stockticker passt nicht so recht ins Konzept. Ich denke, ich wollte einfach testen ob es funktioniert. Ich bin aber gerade dabei das Design etwas anzupassen, mal gucken ob der Ticker dann rausfliegt.
      Danke für die Idee mit der Email-Liste! Ich werde mal etwas entsprechendes Einrichten und dann kannst du dich gerne eintragen 🙂

      Beste Grüße
      Pascal

  4. Hallo Pascal,

    wiedermal ein toller Artikel von dir! Wie du weißt bin auch ich ein „langweiliger ETF-Anleger“. Ich will meine Zeit auch für andere Dinge nutzen als tagtäglich mein Depot zu kontrollieren! Ebenso bin ich auch der Überzeugung, dass ich mit der durchschnittlichen Marktrendite zufrieden bin und damit sehr, sehr gut leben kann!

    Liebe Grüße
    Florian

    • Hi Florian,

      genau, die durchschnittliche Marktrendite bringt einen langfristig extrem weit. Dazu kommt, dass es über einen langen Zeitraum scheinbar fast unmöglich ist, den Markt zu schlagen. Warum also Zeit und Geld investieren, für eine fast aussichtslose Wette?

      Beste Grüße
      Pascal

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