Wer nichts tut, der fällt zurück, verbessert sich nicht und hat es auch nicht anders verdient – oder?
Immer auf Achse, sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen, pro-aktiv agieren, vor allem aber HANDELN!
Wer nicht agiert, der reagiert – und wer will das schon? Lethargie wird allgemein geächtet. Selbstoptimierung ist nicht mehr die Ausnahme, es ist die Erwartungshaltung an Jeden, der etwas auf sich hält und in sozialen Kreisen kreiselt, die sich über den Trinkern vor’m Supermarkt befinden.
Der Vermögensaufbau ist da keine Ausnahme mehr. Aus den vielen Finanzblogs dieser Tage hallt es lautstark: „Nimm deine Finanzen endlich selber in die Hand! Kauf Aktien! Sei kein Riester-Loser! Wenn du jetzt nicht agierst, dann heul nicht, wenn du mit 67 Jahren noch beim Penny an der Kasse sitzt.“
Noch nie zuvor hatten Menschen in Industrieländern so viele Freiheiten und so viele Möglichkeiten ihr Leben nach belieben zu gestalten, wie heute. Damit einher geht allerdings auch ein hohes Maß an Verantwortung und die allgegenwärtige Erwartungshaltung „mach was draus!“.
Ist handeln stets besser als nicht-handeln? Ist „mehr“ immer besser als „weniger“?
Wie ich schon im letzten Artikel über unsere „Obsession mit Komplexität“ anklingen lassen habe, erscheint mir eine erfundene Komplexität die Forderung einem vermehrten Handeln noch zu fördern. Viele Lebensbereiche werden verkompliziert – und zugleich wird von findigen Geschäftsleuten natürlich auch die Lösung angeboten, um diese Komplexität wieder zu lösen. Gleichzeitig wird an das Gewissen des Konsumenten appelliert: „Du hast offensichtlich Verbesserungspotenzial und hier ist Produkt A oder Service B um dieses Potenzial auszuschöpfen. Willst du etwa zurückfallen? Ursula von nebenan tut’s bereits! Worauf wartest du?“
Ein Beispiel ist das Thema Ernährung. Wahrscheinlich ist es sogar DAS Paradebeispiel. Nirgendwo wird so viel verkompliziert, so viel versprochen, so viel gefachsimpelt und so viel Geld mit leeren Versprechen umgesetzt, wie bei der Ernährung. Jeder möchte gesund leben, länger leben und sich gut fühlen. Dabei spielt Ernährung natürlich eine Schlüsselrolle. Doch was ist „optimale Ernährung?“
Das ist eine spannende Frage. Ich habe mich lange damit beschäftigt, vielen gelesen und mittlerweile festgestellt: Kaum ein Bereich ist so widersprüchlich und schwierig zu durchdringen, wie die Ernährungswissenschaft. Fakt eins: Kein Wissenschaftler weiß, was die optimale Ernährung ist. Denn (Fakt zwei) wissenschaftliche Studien zum Thema Ernährung sind enorm fehleranfällig und widersprüchlich. Das liegt in der Natur der Sache. Die vorhandenen Studien werden entweder an Tieren oder an Menschen durchgeführt. Der Vorteil bei Studien mit Tieren (meist Mäuse) ist, dass sich die Rahmenbedingungen besser kontrollieren lassen. Die Wissenschaftler haben ein genaues Bild davon, was Maus A frisst, wie viel körperliche Aktivität sie hat und unter welchen Umständen sie lebt. Der Nachteil: Die Ergebnisse lassen sich nur sehr begrenzt auf den Menschen übertragen. Der Vorteil bei Versuchen mit Menschen: Nun ja, es sind Menschen. Man kann also direktere Schlüsse ziehen. Der Nachteil: Rahmenbedingungen lassen sich nicht kontrollieren. Kausale Beziehungen werden oft vorschnell festgestellt. Meist werden für diese Studien Panels betrachtet, die Versuchspersonen über einen gewissen Zeitraum beobachten und regelmässig befragen. Neben dem Problem, dass die Versuchspersonen tendenziell dazu neigen ihre Ernährungsgewohnheiten unwahr darzustellen, entweder weil sie lügen oder weil ihre Wahrnehmung verzerrt ist, sind solche Studien enorm schwierig zu erstellen. Welche Fragen werden gestellt? Was wird ausgewertet? Wie interpretiert man die Ergebnisse?
Dazu kommen fachliche Fehler. Statistische Korrelation bedingt nicht immer kausale Korrelation. Ein erfundenes Beispiel: Eine Studie stellt fest, dass Veganer weniger häufig an Krebs erkranken. Schlagzeile in der Bild-Zeitung: „Fleisch verursacht Krebs!“.
Doch ist das tatsächlich der Fall? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht. Vielleicht liegt der beobachtete Zusammenhang auch einfach daran, dass Veganer allgemein bewusster konsumieren, oder einen aktiveren Lebensstil führen oder Soja vor Krebs schützt. Oder vielleicht liegt es daran, dass Fleischesser auch mehr frittierte Kartoffeln konsumieren und diese das eigentlich Übel darstellen. Oder halt nicht. Es gibt zu viele Faktoren, die man nicht kontrollieren kann. Daher produziert die Ernährungswissenschaft so viele widersprüchliche Ergebnisse. Und deshalb produzieren Firmen so viele vermeintliche Heilsbringer-Produkte, die auf die neusten Ergebnisse reagieren. Für jede Studie gibt es die passende Diät.
Wenn ich hier in den USA in einen großen Supermarkt gehe, gibt es eine riesige Abteilung mit Supplements – Nahrungsergänzungsmittel. Wenn eine Studie zum Ergebnis kommt, dass der Dreck unter den Zehennägeln des ostafrikanischen Orang-Utans gut für das allgemeine Wohlbefinden ist, gibt es eine Woche später das passende Supplement. Natürlich in praktischer Brausetablette mit Zitronengeschmack. Es ist eine riesige Industrie.
Es stellt sich die Frage, ob es nicht vielleicht sinnvoll wäre, bei der Ernährung eher weniger als mehr zu machen? Vielleicht führt das Weglassen von Pizza und dem vierten Bier, sowie der Packung Skittles zu mehr Wohlbefinden, als 10 Fischöl-Kapseln und der leckere L-Arginin Drink am morgen?
Ich glaube bei der Ernährung kommt es eher darauf an, was man NICHT macht, als darauf was man macht. Verzicht auf die ein oder andere Sache führt eher zum Ziel, als die zusätzliche Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln. Ich könnte natürlich aber auch falsch liegen. Eines ist aber sicher: Agieren ist tatsächlich einfacher als verzichten. Eine Wunderkapsel ist schnell gekauft und geschluckt, und schon stellt sich das wohlige Gefühl ein, etwas für die Gesundheit getan zu haben. Mit voller Stolz trägt die Mutti im Prenzlberg ihren Kombucha-Drink fuer 5,99 Euro vor sich her. Bewusst leben mit Lebendkulturen. Vielleicht hätte Leitungswasser zu besseren Ergebnissen geführt? Vielleicht, aber das Gefühl aktiv gehandelt zu haben ist wichtig. Man wird nicht abgehängt. Wenn Chantal von Lebendkulturen profitiert, will man nicht, dass der eigene Darm abgehängt wird.
Beim Vermögensaufbau ist es wie bei der Ernährung
Oh Gott, eine grauenhafte Überschrift. Vielleicht sollte ich dem Blog gleich noch einen ebenso platten Namen geben. Ist Finanz-Ketchup, Finanz-Mann oder Finanz-Lurch.de noch frei? Muss mich da mal umschauen.
Wie auch immer, was ich sagen möchte ist: Auch beim Investieren ist weniger oft mehr. Wenn man den Vermögensaufbau der meisten Investoren langfristig betrachtet, hat das, was man nicht gemacht hat, mehr positiven Einfluss auf die Rendite als das was man gemacht hat. Wer als Privatanleger lernt, die größten Fehler durch kopfloses Kaufen zu vermeiden und lieber die Füße stillzuhalten, der hat bereits die halbe Miete eingefahren.
Doch mit Füße stillhalten lässt sich in der Finanzindustrie kein Geld verdienen. Also wird selbst dem Privatanleger eingetrichtert, dass der erfolgreiche Investor agieren muss. Und zwar ständig. Am besten täglich. Und er muss informiert sein um entsprechend handeln zu können. Als Resultat handelt Uwe vom Schrottplatz mit Optionen, Chantal kauft Tilray (weil das gerade wie ne Rakete durch die Decke geht) und Jens verkauft alle seine Bayer-Aktien, weil Bloomberg TV ihm das gesagt hat. Dazu werden immer mehr Produkte gekauft, die man nicht versteht. Oder nur meint zu verstehen.
Man schaue sich mal auf Facebook auf den entsprechenden Seiten um. Was sich da an voller Selbstvertrauen vorgetragenem, als Analyse getarntes, Halbwissen tummelt, ist grauenhaft. Ich lese die „kleine Finanzzeitung“ gerne zur Erheiterung. Besonders perfide ist die Werbung von e-trade: Der Tenor ist, statt neidisch auf den Reichtum deines Nachbars zu sein, fang endlich an aktiv zu traden.
Anders als in der Ernährungswissenschaft, lassen sich mit dem Finanzmarkt ganz ordentliche Studien durchführen. Allerdings lauert hier natürlich ein anderes Problem: Während es ohne Ende Finanzmarktdaten gibt, lassen sich die Ergebnisse von Studien nicht ohne weiteres auf die Zukunft projizieren. Man kann stets nur die Vergangenheit auswerten. Die gezogenen Schlüsse müssen für die Zukunft nicht valide sein.
Dennoch zeigt sich relativ konsistent in den meisten Studien: Aktiveres Handeln an den Märkten ist nicht positiv korreliert mit Rendite. Eher im Gegenteil: Je mehr Privatanleger agieren, desto geringer ist ihre langfristig erzielte Rendite. In den seltesten Fällen schlagen sie den Markt.
Füße stillhalten
Der Privatanleger von Welt ist üblicherweise ein begeisterter Fan von Warren Buffett. Das Orakel von Omaha. Also werden Bücher über dessen Investment-Ansatz gelesen und man preist sich gern als „Value-Investor“. Ein riesengroßer Schwachsinn. Wer ist denn kein Value-Investor? Ich kenne persönlich niemanden, der sich als „Crap-Investor“ bezeichnet.
Statt Aktienanalyse zu lernen, sollten Buffetts Jünger lieber auf seine Worte hören und auf Index-Fonds vertrauen. Das Modell „Warren“ lässt sich nicht ohne weiteres durch einen Privatanleger kopieren. Buffetts langjähriger Partner Charles Munger rät Studenten folgendes: „I could improve your ultimate financial welfare by giving you a ticket with only 20 slots in it so that you had 20 punches—representing all the investments that you got to make in a lifetime. And once you’d punched through the card, you couldn’t make any more investments at all.”
20 Investments im Leben, danach ist Schluss. Ich kenne Privatanleger, die reißen dieses Limit jeden Monat. Dabei ist es ein großartiger Ratschlag. Als Privatanleger braucht man keine 20 Investitionsentscheidungen im Leben zu fällen und wird trotzdem im Schnitt erfolgreicher sein, als derjenige, der jede Woche Focus Money liest, aktiv traded und jedem Trend hinterherhechelt.
Einfach mal die Füße stillhalten und sich die Szenerie von der Seitenlinie anschauen entspricht nicht dem menschlichen Naturell und dem Zeitgeist – wäre aber besser für den langfristigen Vermögensaufbau.
Cheers.
hi Pascal,
super gut geschrieben, genauso isses….
der ganze Ernährungskram geht mir auf die Nerven, bis vor Kurzem galt z.B Kokosöl als sehr gesund, schmeckt auch gut, jetzt soll es Demenz fördern…
beim Anlegen hab ich mal einen Spruch gelesen,
ein Depot ist wie ein Stück Seife, je mehr Du es anlangst desto kleiner wird es… hat was…bin ja auch Fan vom BuyandHold2012 bei Seeking Alpha.
Schönen Abend
Fit und Gesund
Hi Pascal,
Du hast gerade bei Ernährung natürlich recht – weniger Kalorien rein = weniger dick 😉
So simpel ist es beim Investieren glaube ich aber nicht, denn die meisten tun es noch nicht – die müssen erstmal aktiv werden!
Das dann aber gerne „passiv“ mit ETF(-Sparplan) und gut ist…
Viele Grüße
Thorsten
Hui, habe ich da Kritik an den Auswüchsen der Finanzblogosphäre herausgelesen? 😉 Da fällt mir wieder der Couponschneider ein, der das scharf kritisiert hatte. Schade um seinen Blog, der war definitiv einer meiner Favoriten.
Ach, quatsch – „it’s all love“ wie SnoopDogg sagen wuerde 😉