Finanzwissenschaftler mit einem Hang zur Zoologie erforschen seit geraumer Zeit eine ganz besondere Spezies: Das Finanzchamäleon. Dieses possierliche Tierchen fühlt sich in geldhaltigen Lebensräumen besonders wohl. Sein natürliches Habitat ist die Börse. Doch die Errungenschaften der modernen Menschheit, allen voran das mobile Banking und Online-Trading, drängen das Finanzchamäleon zunehmend auch in heimische Gefilde. Schon längst fühlt es sich in vielen mittelständischen Wohnzimmern sehr wohl.
„Gemeiner Beifall in Fülle gibt dem Verständigen kein Genügen. Dagegen sind manche solche Chamäleons der Popularität, dass sie ihren Genuss nicht in den sanften Anhauch Apolls, sondern in den Atem des großen Haufen setzen.“ – Baltasar Gracián
Das Finanzchamäleon hat vieles mit seinem, in der Natur ansässigen, Artgenossen gemeinsam. Dennoch würde der gemeine Tierfreund das Finanzchamäleon auf den ersten Blick wohl für einen normalen Vertreter des Homo Sapiens halten, evtl. mit Hang zum Homo Oeconomicus. Hier jedoch liegt die Stärke dieses Wesens. Es ist extrem anpassungsfähig. Es lässt sich nur schwer halten und ist keiner Kategorie so richtig zuzuordnen. Und ist sein Gegenüber nicht äußerst kritisch und hinterfragt skeptisch, so erscheint das Finanzchamäleon stets als das, was ihm am meisten schmeichelt: Als Börsen-Guru.
Während die Leibspeise des gemeinen Waldchamäleons wohl Insekten und derlei Kleinvieh sein dürften, so ernährt sich das Finanzchamäleon eher auf monetäre Art und Weise. Doch zu behaupten, es wäre geldgierig und nur durch mehr und mehr Reichtümer zu befriedigen, würde der Sache nicht gerecht werden. Dem Finanzchamäleon nämlich, ist nicht das eigentliche Geld von größter Wichtigkeit für sein Überleben, sondern die Anerkennung für die Raffinesse, mit der es sein Vermögen erlangte, bzw. es zu erlangen ersucht.
Der natürliche Jagdgrund des Finanzchamäleons sind die Finanzmärkte dieser Welt. Hier fühlt sich das Tier wohl. Hier lauert es auf neue Optionen. Hier wittert es die Rendite. Hier erlegt es seine Beute. Doch die Beute ist nicht das eigentlich Ziel, denn wie bereits erwähnt, kann die monetäre Beute das Finanzchamäleon nicht ernähren. Die eigentliche Intention dieser Gattung liegt in der Zurschaustellung der Beute.
Dafür hat sich seit geraumer Zeit das Internet als Medium der Wahl für die Familie der Finanzlebewesen etabliert. Das Internet bietet so auch dem Finanzchamäleon den besten Schutz um seine Beute von den Finanzmärkten den begierigen Zuschauern darzustellen. Und so hat das Tierchen in der Regel gar seine eigene Internetpräsenz, auf der es genüsslich seine Weisheiten zur richtigen Jagdstrategie ausweidet und der Öffentlichkeit seine Taktiken preisgibt.
Dabei ist jedoch in aller Deutlichkeit von einem fernen Verwandten, der Finanzeule, abzugrenzen. Die Finanzeule versucht stets objektives Wissen unter dem Leitmotiv der privaten Weiterbildung zu verbreiten. Dem Finanzchamäleon jedoch, vermag es nur vordergründig um die Aufklärung zu gehen. In erster Linie geht es um das Zelebrieren der eigenen Jagderfolge und der Missionierung seiner Gefolgschaft.
Mit wachsenden Erfolgen, baut sich das Finanzchamäleon eine stetig wachsende Community auf. Aus der Verehrung dieser für seine Jagderfolge und die Huldigung seiner unfehlbaren Strategie, saugt das Tier seinen Lebenssaft. Es ist dabei unersättlich und brauch stets mehr Bewunderung und Zusprache. Die Erfolge müssen wachsen und aus der Anlagestrategie wird eine Doktrin. Aus interessierten Lesern werden Anhänger und Gläubige. Widerspruch mag das Finanzchamäleon gar nicht gerne leiden. Kritiker werden mit Verweis auf die erlegte Beute schnell zum Schweigen gebracht. Fakten sind der natürliche Feind dieser Gattung.
Doch warum nur ist das Finanzchamäleon so erfolgreich und vermag sich scheinbar beliebig zu vermehren?
Der Erfolg des Chamäleons liegt in seiner speziellen Fähigkeit zur Anpassung begründet. Sein Artgenosse im Wald kann sich farblich an die Umgebung anpassen, um sich vor Fressfeinden zu schützen und seinen Opfern aufzulauern. Die Fähigkeit zur farblichen Anpassung ist dem Finanzchamäleon versagt. Doch hat es eine viel wertvollere Art der Anpassung entwickelt. Das Tierchen vermag geschickt die Interpretation seiner Anlagestrategie auf die derzeitige Marktlage hin anzupassen. Dadurch erscheint es in den Augen seiner Gefolgschaft immer richtig zu liegen. Scheinbar vermag es die Wogen der Märkte beliebig zu glätten. Seine Strategie scheint allen Zweifeln erhaben.
Wie schafft das Finanzchamäleon das?
Um unbedarfte potenzielle Opfer vor dem Finanzchamäleon zu schützen, haben ambitionierte Finanzzoologen das Vorgehen des Tieres genau studiert.
Als Ergebnis wurde jetzt ein Beispiel für ein typisches Finanzchamäleon-Verhalten veröffentlicht.
Das Finanzchamäleon erfreut seine Anhängeschaft mit einer ausgefeilten Aktienanalyse auf seinem Blog. Sein Expertenstatus stellt es durch eine komplexe Bewertung des Kurspotentials unter Beweis. In der Folge können zwei Situationen eintreten:
1) Die Aktie steigt tatsächlich. Das ist die Lieblingssituation des Tieres. Offenbar hat seine Analysestrategie sich mal wieder bewahrheitet und das Finanzchamäleon hat seine Beute erlegt. Die Leser huldigen es für seine scheinbar unendliche Weisheit.
2) Der Aktienkurs fällt. Diese Situation scheint zunächst die Autorität des Tieres zu untergraben. Doch dies wäre voreilig geschossen! Denn das Finanzchamäleon passt einfach kurzum die Interpretation seiner Strategie an. „Lieber Leser, du bist doch nicht etwa so töricht zu denken, es käme zu einem kurzfristigen Kurssprung? Ha, ich verfolge doch eine langfristige Buy-and-Hold Strategie und kaufe jetzt sogar günstig nach.“ Das scheint Sinn zu machen, kurzfristige Kurseinbrüche sind doch dem Buy-and-Hold Investor egal. Und eine gute Gelegenheit zum Nachkauf. Und so macht alles wieder Sinn. Und wenn eines Tages der Kurs doch ansteigen sollte, wird das Finanzchamäleon dies gewiss breit präsentieren. Und alle huldigen es für seinen Weitblick. Hoch lebe das Chamäleon.
Zoologen warnen vor blinder Gefolgschaft und raten zum kritischen Hinterfragen der Aussagen des Chamäleons. Nur ein informierter und mitdenkender Investor könne den Verlockungen des Finanzchamäleons widerstehen. Glücklicherweise gibt es genügend Finanzeulen um dem ambitionierten Investor dabei zu unterstützen.
Cheers.
P.S. Und jetzt alle: „Karma Karma Karma Chameleoooooon.“
Hat mich zum Schmunzeln gebracht, auch wenn es eigentlich traurig ist. Gut geschrieben!
(Beim ersten Absatz musste ich an Loriot und seine Steinlaus denken, „diese possierlichen kleinen Kerlchen…“ – einfach mal bei youtube suchen)
Hallo Julia,
Dankeschön, freut mich dich zum Schmunzeln gebracht zu haben 🙂
Werde ich mir mal suchen. Loriot ist ja immer sehenswert!
Beste Grüße
Pascal