Mehr Informationen = mehr Rendite?
Neulich beim Mittagessen mit Kollegen. Während wir uns den, am Freitag üblichen, Burger hinter die Kiemen schoben, kam das Thema auf die Geldanlage. Mein Kollege berichtete, wie er sich durch die Geschäftsberichte mehrerer Unternehmen einer bestimmten Branche gequält hat, um den richtigen Kandidaten für einen Aktienerwerb zu finden. Er wusste zwar in welche Branche er investieren möchte, doch konnte er sich noch nicht entscheiden, welches Unternehmen es werden sollte. Um seine Entscheidung auf ein „solides Fundament“ zu stellen, durchforstete er also die Geschäftsberichte von fünf Kandidaten und stelle seine Erkenntnisse in einer Excel-Tabelle gegenüber.
Er klagte uns sein Leid. Die Geschäftsberichte seien teils mehrere hundert Seiten lang. Und auch, wenn er viele Stellen nur überflogen hat und andere Kapitel gleich gänzlich außen vor ließ, so ging dennoch beinahe ein ganzer Sonntag für seine Analystentätigkeit drauf. Die Zeit „müsse man aber halt einfach investieren, bevor man investiert“. Schlussendlich kristallisierte sich ein Kandidat als Gewinner heraus und der Kollege schlug in der folgenden Woche auch gleich zu. Er ist nun stolzer Aktionär eines US-Konzern, der seiner unbarmherzigen Prüfung standgehalten hat. Das dieser in den nächsten Jahren „steil geht“ und ohnehin auch eine ordentliche Dividendenrendite aufzuweisen hat, berichtete mein Kollege, der alte Fuchs, nicht ohne Stolz.
Mittlerweile war ich mit meinem Burger durch und widmete mich den verbliebenen Pommes. Ich sagte ihm, er hätte seinen Sonntag verschwendet. Das Lesen ganzer Geschäftsberichte ist für einen Privatanleger nichts weiter als Liebhaberei, eine bessere Aktienauswahl würde er damit nicht erreichen. Mein Kollege reagierte leicht gereizt: „Nur ein informierter Investor ist ein guter Investor“. Das mag sein, entgegnete ich, doch mehr Informationen führen nicht automatisch zu einem besseren Ergebnis. Der VWLer von Welt würde sagen: „Der Grenznutzen von Finanzinformationen für Privatanleger ist stark abnehmend.“ Der Kollege fragte mich, wie ich denn dann bitteschön meine Investitionsentscheidungen treffen würde.
„Am liebsten gar nicht“, lautete meine Antwort, „denn am liebsten investiere ich in Indexfonds und kaufe gleich das komplette Sortiment.“ Und wenn ich doch mal Einzelaktien kaufe, was ich durchaus tue, dann nach Gefühl. „Gefühl“, schnaubte mein Kollege verächtlich, „nach Gefühl kann man keine soliden Investitionsentscheidungen treffen. Pass bloß auf, dass du dich damit nicht auf die Fresse packst.“ Die Sorge meines Kollegen rührte mich zwar, dennoch ist diese gänzlich unbegründet. Ich kaufe Unternehmen, deren Branche, Geschäftsmodell und Historie mir gefällt. Dazu werfe ich noch einen schnellen Blick auf eine Übersicht an Finanz-Kennzahlen. Und das war’s. Für die einen törricht, für mich als Grundlage meiner Investitionsentscheidungen vollkommen ausreichend.
Nun verbringe ich aus Berufswegen selber viel Zeit mit der Erstellung von Geschäftsberichten, Börsenprospekten und anderen Unternehmensveröffentlichungen. Wie passt es da zusammen, dass ich diese dennoch nicht in höherem Maße in meine Anlageentscheidungen einfließen lasse?
Informationen täuschen und schaffen eine falsche Sicherheit
Ein Grund ist die Feststellung, dass wir heutzutage zwar unendlich viele Informationen abrufen können, die meisten nur ein paar Klicks entfernt, wir als Menschen aber unfassbar schlecht darin sind, diese zu verarbeiten. Dies liegt in verschiedenen kognitiven Verzerrungen begründet, die unser Entscheidungsverhalten beeinflussen.
Eine schöne Anekdote zu dem Thema habe ich in einem Interview mit Schach-Profi, Entrepreneur und Investor Adam Robinson gelesen. Das Interview ist in Tim Ferris‘ neuem (sehr empfehlenswerten!) Buch abgedruckt. Robinson berichtet darin von einem Experiment, welches der Psychologe Paul Slovic in den 70er Jahren durchgeführt hat.
Versuchskaninchen spielten professionelle „horse handicappers“. Ich weiß nicht inwieweit es für diese Profession ein deutsches Wort gibt. Es handelt sich im Prinzip um professionelle Analysten von Pferderennen, die ihr Geld ausschließlich mir der Analyse von Pferd und Jockey und dem anschließenden Platzieren von Wetten verdienen. Das Experiment bestand aus der Vorhersage des Ausgangs von 40 Pferderennen in vier aufeinanderfolgenden Runden. Die Crux bei der Sache: Runde für Runde würden die Analysten mehr Informationen über die Pferde und Jockey erhalten.
In der ersten Runde durfte jeder Analyst fünf Informationen seiner Wahl abfragen. Das konnte alles Mögliche sein, von der Erfahrung des Jockeys, über die Maximalgeschwindigkeit des Pferdes in dieser Saison bis hin zu der Anzahl der Beine der startenden Pferde. Anschließend mussten die Analysten ihre Tipps abgeben. In jedem Rennen starten 10 Pferde. Was bedeutet, dass der Erwartungswert für einen beliebigen Tipp bei 10% Erfolgswahrscheinlichkeit liegt. Das Ergebnis: Im Schnitt lagen die Analysten zu 17% richtig. Was schon ein gutes Ergebnis ist. Es scheint also, als ob die wenigen Informationen, die sie erhalten haben, ihre Erfolgswahrscheinlichkeit um ganze 70% gesteigert hätten. Das ist ordentlich. Zusätzlich wurden sie nach ihrer Zuversicht gefragt, mit ihrem Tipp richtig zu liegen. Im Durchschnitt gaben die Analysten hier 19% an. Dies liegt erstaunlich nahe an der tatsächlichen Treffsicherheit von 17%.
In jeder folgenden Runde durften die Kandidaten mehr und mehr Informationen abfragen. In der letzten Runde gar 40 Informationen! Das Prozedere blieb gleich, sie mussten den Sieger des Rennens vorhersagen. Das Ergebnis: Bei jeder folgenden Runde, in denen die Analysten stetig mehr Informationen erhielten, blieb die Trefferquote konstant bei 17%. Augenscheinlich verbesserte das Mehr an Informationen also nicht die Güte der Vorhersagen. Was sich allerdings änderte, war die Zuversicht der Kandidaten. In der letzen Runde mit 40 Informationen ausgerüstet, waren sich die Kandidaten zu 34% sicher, die richtige Entscheidung getroffen zu haben.
Ein interessantes Ergebnis! Es scheint also, als ob Informationen, die ein gewisses Minimum übersteigen, nicht zu einer Verbesserung der Analysefähigkeit führen. Einzig bewirken sie eine Steigerung der Zuversicht. Eine trügerische Zuversicht, wie sich herausstellt.
Das intensive Studieren von Geschäftsberichten füttert lediglich den „Confirmation Bias“
Wenn wir uns mit einem Unternehmen tiefergehend auseinandersetzen, dann haben wir implizit bereits einen Anker geworfen. Das Unternehmen finden wir eigentlich bereits interessant. Doch erscheint uns die Feststellung, dass das Unternehmen „interessant“ ist, nicht als ausreichende Begründung dafür, ein paar tausend Euro für Anteile an dem Selbigen locker zu machen. Damit fühlen wir uns als Investoren einfach nicht wohl. Wir wollen uns absichern und stellen Nachforschungen an. Vielen Privatinvestoren scheint dabei ein Blick auf die wichtigsten Kennzahlen und deren Vergleich mit einem Benchmark oder eine Beschäftigung mit dem Geschäftsmodell nicht mehr auszureichen. Es werden Geschäftsberichte analysiert und Punkte auf selbst-erdachten Skalen vergeben.
Meist führt dies nur zu einem Ergebnis: Man hatte von vornherein scheinbar recht gehabt. Die Erkenntnisse aus dem Studium der Unterlagen belegen, dass man einen guten Riecher hat. Das Unternehmen ist tatsächlich ein „Buy“, wenn man es von vornherein gut fand oder man findet Bestätigung für seinen ersten Eindruck, dass da etwas nicht in Ordnung sei. Nur liegt dies in den allermeisten Fällen nicht an überragender Detektivarbeit, sondern an einer kognitiven Verzerrung, die man den Confirmation Bias nennen. Er beschreibt die Tendenz, Informationen so zu interpretieren, dass diese die eigenen Erwartungen bestätigen.
So entsteht eine gefährliche Selbstüberschätzung der eigenen analytischen Fähigkeiten. Jedes „Mehr“ an Information, das der Privatanleger konsumiert, steigert zwar seine Zuversicht in das eigene Handeln, führt aber nicht zu einer tatsächlichen Verbesserung seiner Investitionsentscheidung. Mehr aufgewandte Zeit für Aktienanalyse korreliert leider nicht mit der erzielten Rendite.
Das ist eine Pille, die für viele hart zu schlucken ist. Und regelmäßig zu hitzigen Diskussionen führt. Die Erkenntnis, dass man auch nach dem Lesen von 500 Aktienanalysen, zehn mathematischen Abhandlungen über den Aktienmarkt, drei Onlinekursen zur Chart-Technik und einer privaten Session mit Mick Knauff kein besserer Investor als der Durchschnitt wird, ist verdammt hart.
Fazit – The hard truth on easy things
Ich möchte nicht sagen, dass finanzielle Bildung unnötig ist. Ganz im Gegenteil. Bevor man investiert, sollte man wissen, was man da macht. Eine solide finanzielle Grundausbildung ist ein notwendiges Fundament. Sie bewahrt alleine schon davor, ins Zocken zu geraten.
Doch je früher du dir eingestehst, dass du kein zweiter Warren Buffet bist, desto besser wird es für deinen eigenen finanziellen Erfolg sein. Ich meine, glaubst du wirklich du findest auf Seite 248 des Geschäftsberichtes die EINE große Erkenntnis, die der Markt bisher verpasst hat? Meinst du wirklich, du wärst der „Chosen One“, der den Markt ausspielt? Ich bitte dich…
Man liest so häufig: „Es macht keinen Sinn, dass diese oder jene Aktien fallen/steigen. Es macht keinen Sinn, dass Kryptowährungen steigen. Es macht keinen Sinn, dass die Aktien von Öl-Produzenten nicht steigen“ usw usf. Doch das ist Schwachsinn. Die Welt macht immer Sinn. Was keinen Sinn macht, sind deine Annahmen.
Was, nun? Nun, etwas mehr Gelassenheit beim Aktienkauf tut gut. Investiere die Zeit für’s Lesen von Geschäftsberichten lieber in andere schöne Dinge. Schaffe dir mit guter Literatur eine solide Grundlage. Am besten du triffst für den entscheidenden Teil deines Depots überhaupt keine Auswahl bezüglich einzelner Aktien. Die Marktrendite tut’s auf Dauer auch. Und für den Rest: Lass deinen Bauch entscheiden.
Oder wie Investorenlegende Kendrick Lamar es ausdrücken würde: Be Humble, sit down.
Cheers.
Joh!
Detailierte Aktienanlysen haben mich nie gereizt. Ich kann mir kaum etwas langweiligeres vorstellen als einen kompletten Geschäftsbericht durchzuackern!
Ein paar Kennzahlen, gesunder Menschenverstand und das von dir angesprochene Bauchgefühl reichen mir auch. Ich weiß nicht in wie viele Unternehmen ich in den letzten 21 Jahren schon mittels Wertpapiere investiert habe, aber ich weiß, dass ich noch nie einen Geschäftsbericht gelesen habe. Und ich lebe noch 🙂
Wenn ich meine investierte Summe aus dem Markt ziehe ist das Depot immer noch deutlich 6stellig. Mag sein, dass einige Geschäftsberichts-Masochisten ein paar Prozent mehr gemacht haben. Aber das ist es mir nicht wert 😛
Hey Vincent,
sehe ich ähnlich! Und dazu bezweifel ich, dass „Geschäftsbericht-Masochisten“ über deinen Anlagehorizont von 21 Jahren im Durchschnitt mehr Rendite gemacht hätten. Wenn man dazu Lebenszeit mit einpreist, definitiv nicht 😉
Stimmt! Ich hätte die Lebenszeit nicht für das Lesen von Geschäftsberichten hergegeben. Aber wer son echter Geschäftsbericht-Masochist ist, definiert seine Qualitytime wahrscheinlich über das Studium dieser Berichte.
#BillionDollarMoment
Hallo Vincent,
deine geschilderten Erfahrungen zur Intuitionsstrategie sind für mich sehr hilfreich.
Das mache ich persönlich seit Jahren auch so, habe mich aber immer gefragt, ob ich mir das nicht zu einfach mache. Ein paar Kennzahlen hier und da; ein bisschen warten auf günstigere Kurse; kurz prüfen, ob mir das Geschäftsmodell immer noch gefällt und den Rest übernimmt mein Bäuchlein.
Deine 21 Jahre Erfahrung zeigen mir, dass diese Strategie funktioniert.
Abgesehen davon, dass ich für einen Bericht ungemein viel wertvolle Lebenszeit investieren müsste, glaube ich nicht daran, dass ich aus ihm mehr Informationen herauslesen kann, die mir bei der Investitionsentscheidung helfen können.
Beste Grüße
So isses! Super Artikel!
irgendwo bei Seeking Alpha hab ich mal einen guten Satz gelesen: „The more I knew, the worse an Investor I became, I became a victim of paralysis by analysis“ , das trifft es genau, ich habe ETF’s und 25 Einzelaktien, ich kaufe Firmen von denen ich denke dass sie solide sind, schaue ein paar Kennzahlen an, insbesondere eben Eigenkapital und wie die Gewinnentwicklung der letzten Jahre war, schaue ob sich ein paar blogger gerade die Mühe gemacht haben meine Aktie unter die Lupe zu nehmen und dann wenn es passt, dann kauf ich halt, Bauchgefühl ist mir auch wichtig. Sobald ich gekauft habe geht es erstmal abwärts, ist immer so… aber dann geht es auch wieder aufwärts und gut ist.
Mit dem System fahr ich ganz gut.
Hi Annabella,
„Paralysis by analysis“ gefällt mir gut und trifft es vermutlich auf den Punkt. Einfach machen und nicht viel drumherum analysieren!
Ich finde gut, dass du ein System gefunden hast welches für dich funktioniert und dich dabei nicht beirren lässt. Weiter so!
Genau auf den Punkt gebracht. Natürlich ist es von Vorteil als Anleger über die Finanzbasics bescheid zu wissen. Aber man kann es auch übertreiben.
Das gleiche ist wenn man denkt, dass möglichst viele Einzeltitel zu einer tollen Diversifikation führen. Dem ist dann auch nicht so. Weil bereits mit 15-20 Aktien eine ausreihende Streuung erreicht ist.
Grüße Thomas
Hi Thomas,
absolut – Basics dürfen nicht fehlen. Alles andere ist Liebhaberei und Hobby. Schädlich wird es, wenn übermäßige Analyse entweder zu Lethargie oder Zockerei führt.
Solch eine Betrachtungsweise ist viel zu einseitig. Rendite ist ein wichtiger Punkt beim investieren, ok. Aber nicht der wichtigste. Denn die tollste Rendite nützt mir nichts, wenn mir die Anlage warum auch immer nicht richtig passt, mir zu langweilig wird und ich aufhöre zu investieren. Dann könnte der MSCI World 10.000e% machen und ich hätte nichts davon. Warum wollen sie denn ständig anderen vorschreiben was gut ist und was nicht? Sind “nur“ 5% Rendite langfristig nicht viel besser, wenn man sich damit identifizieren kann und dadurch langfristig dabei bleibt? Investieren ist persönlich und individuell – jemand sagte mal wie ein Kuchenbuffet – ich will Schoko, Apfelkuchen und Feuerwehrtorte. Stellen sie sich vor, sie essen jeden Tag das gleiche Stück Kuchen – ich garantiere Ihnen, das machen sie nicht 10 Jahre lang. Und wenn jemandem ein ETF nicht 100%ig passt dann wird er die Strategie stur immer wieder Nachzukaufen zu langweilig. Es geht beim investieren nur Nachrangig um Rendite. Viel wichtiger ist, dass man dabei bleibt und sich damit wohl fühlt. Und dann sind 3 oder 4% Rendite besser als jede langfristige Indexrendite. Weil man überhaupt dabei ist.
Hi Pascal,
Danke für deinen Einwand, ich verstehe was du meinst. Leider kann ich mich dessen nicht anschließen. Auch ich liebe es, über das Investieren zu philosophieren und gerne mal auf ein Unternehmen zu setzen, einfach weil ich „Lust“ drauf habe. Klar macht das Spaß.
Aber im Endeffekt sollte langfristiger Vermögensaufbau genau das sein: Langweilig und auf Rendite ausgerichtet. Historisch gesehen, ist man damit am besten gefahren. Wer das nicht ertragen kann, dem empfehle ich den Abschluss von Sparplänen und diese dann einfach laufen lassen. Wir müssen hier differenzieren zwischen langfristigem Vermögensaufbau und kurzfristigem Zocken. Ich mache beides aber riskiere niemals die erste Kategorie zu Gunsten der Zweiten.
Investieren für den langfristigen Vermögensaufbau ist vieles, aber nicht persönlich und nicht individuell. Deine Persönlichkeit kann sich in deiner Kleidung widerspiegeln aber bitte nicht in deinem Depot. Ich esse lieber jeden Tag nen Apfel und am Sonntag dann ein Stück Mohnkuchen – langfristig komme ich dabei besser bei weg, als jeden Tag das Highlight vom Kuchenbuffet zu picken 😉
Ah! Das Lesen des Artikels hat zu einem confirmation bias bei mir geführt. Ja, genau so mache ich es auch, ich habe noch keinen einzigen Geschäftsbericht gelesen und doch eine handvoll Einzelaktien gekauft. Ich sehe, Annabella und Vincent hier in den Kommentaren machen es genauso. Wer noch? Gründen wir den Club der Ignoranten Aktienkäufer, Abkürzung: CIA 😉
Hi Julia,
da wird ja unverhofft doch noch ein Kindheitstraum wahr: Endlich Agent für die CIA 😉 Klasse Idee, ich bin dabei!
Hallo Julia,
ich würde dem Club auch sofort beitreten!! 😀
Gibt`s dafür ein Aufnahmeritual?
Beste Grüße
Das Studium der Geschäftsberichte bringt einen privaten Investor nicht weiter. Die Begründung hier im Artikel ist aber nicht richtig.
Der aktuelle Kurs einer Aktie spiegelt immer die Erwartungen aller Marktteilnehmer wieder, also die zu erwartenden Aussichten in der nächsten Zeit. Wenn Apple ein neues Iphone vorstellt, steigt der Kurs, weil alle erwarten, dass sich das Dingen verkaufen wird. Wenn 5 Akkus davon explodieren, wird der Kurs fallen, weil sich die Meinung und Erfolgsaussichten geändert haben.
Zwar stehen diese Erwartungen auch im Geschäftsbericht, in dem die Geschäftsführung die Aussichten für das nächste Jahr anführt, aber ansonsten beschäftigt sich der Bericht mit den Geschehnissen des abgelaufenen Geschäftsjahres und die sind für den aktuellen Kurs nicht zwingend relevant, sondern bieten nur die Grundstabilität.
Als privater Mensch wird man in dem Bericht nichts finden, was einem einen Vorteil verschafft. Diesen Vorteil gibt es nicht. Noch einmal: „der aktuelle Kurs spiegelt die Erwartungen ALLER Marktteilnehmer wieder“ – darunter fallen natürlich auch die Profis und Investorenschwergewichte, Fondmanager und Pensionskassenverwalter, also Leute, die einen Aktienkurs auch wirklich durch ihr Volumen in Bewegung setzen könnten und die haben wahrscheinlich einen direkteren Zugang zum Management, den Sitzungen der Vorstände und Berichten. Wenn die mit dem aktuellen Kurs von Apple (um bei dem Beispiel zuvor zu bleiben) zufrieden sind und entsprechende Erwartungen bereits eingepreist haben, wird man mit seinen 2-10 Aktien nichts ausrichten und schon gar keine versteckten Dinge im Bericht finden.
Den einzigen Mehrwert hätten Insider, aber die dürfen diesen nicht verwenden und würden damit eine Straftat begehen.
Eine genaue fundamentale Analyse bringt also nichts, wobei einige Kennzahlen nicht verkehrt sind. In dem Atemzug allerdings die Chart-Analyse einzubeziehen, bedarf auch einer Korrektur. Drei Onlinekurse zur Chart-Analyse werden nämlich sehr wohl einen Mehrwert generieren! Dadurch lernt man positive und negative Trendkanäle und -linien, Unterstützungs- und Wiederstandzonen, sowie wiederkehrende Chartmuster kennen. Die können die Zukunft auch nicht voraussagen. Aber den Ist-Zustand und die Wahrscheinlichkeit für den kurzfristigen Verlauf sehr wohl (Boden- oder Topbildung z.B.). Die Chancen für einen besseren Einstieg steigen damit um einiges. Wobei dieser wiederum irrelevanter wird, desto größer der Anlagehorizont ist (kurz-, mittel- oder langfristig), je langfristiger, desto unbedeutender.
Hallo Lubo,
Danke für deine Ausführungen! Bis auf den letzten Abschnitt gehe ich mit dir vollkommen d’accord. Sehe auch nicht, dass sich dies mit der Begründung in meinem Artikel beißt. Die Kurzfassung lautet: „Verschwende deine Zeit nicht mit Geschäftsberichten, da du keine werttreibende oder -begründende Informationen finden wirst, die nicht schon längst eingepreist sind.“ Soweit sind wir uns also einig 🙂
Ich meine aber, im letzten Abschnitt widersprichst du dir. Du meinst die Chartanalyse könnte kurzfristigen Mehrwert schaffen. Ich finde gut, dass du den langfristigen Anlagehorizont hiervon schon ausnimmst. Zuvor jedoch sagst du, der derzeitige Kurs würde die Erwartungen aller Marktteilnehmer widerspiegeln. Wenn der Chart jedoch nur eine Visualiesuerung des Kursverlaufes darstellt, warum sollte die Charttechnik dann einen Mehrwert schaffen?
Wiederkehrende Muster, Raketen, Widerstände, Trends…wer lange genug in ne Schüssel voll Buchstabennudelsuppe starrt, der erkennt auch irgendwann wiederkehrende Muster. Würde es funktionieren, so wären institutionelle Investoren deutlich schneller als jeder Privatanleger und würden den vermeintlichen Vorteil binnen weniger Momente vernichten.
Der Grund, warum diese Charttechnik oftmals doch funktioniert sehe ich in der Selbsterfüllenden Prophezeiung.
Wenn es genug Investoren gibt die glauben eine Aktie würde steigen, wenn sie eine dreifachgeschnörkelte Rolle rückwärts in den Chart gelegt hat und dann kaufen – ja, dann wird sie tatsächlich steigen…
Wenn von 6 Abschnitten 5 „richtig“ sind, warum dann nicht vielleicht alle? ;-))))
Vielleicht ist ja die allgemeine Meinung der Finanzblogger etwas zu selbstverliebt, die Chartanalyse belächeln und immer durch den Kakao, ähm, die Buchstabennudelsuppe ziehen. Wer von denen, die negativ darüber schreibt, kennt sich denn mit Chartmustern aus? Wer hat es schon mal ausprobiert, sich damit auseinandergesetzt und kann aus eigener Erfahrung berichten?
Du? 😛
ETF-By-and-Hold auf MSCI World und zur „Diversifikation“ noch ein bisschen Emerging Market ist definitiv besser als sein Geld auf dem Sparbuch schmilzen zu lassen, aber letztlich nur eine (sichere) Methode von vielen.
Mir war schon klar, dass ich mich im Nachgang noch einmal für meine zuvor geschriebenen Sätze rechtfertigen muss. Auf der anderen Seite habe ich keine Lust gegen Windmühlen anzukämpfen, deshalb werde ich hier keine große Diskussion führen. Ich denke, jeder ist alt genug, um sich seine Strategie zurecht zu legen. Die „Richtige“ gibt es dabei nicht.
Charts bilden die aktuelle Erwartung eines Wertes wieder, soweit waren wir schon. Entstehende Muster sind keine Einbildung des Gehirns, sondern haben reale Marktgrundlagen. Gewisse Verhältnisse von Kauf- und Verkaufsorder bilden verschiedene Muster ab. Diese sind wiederkehrend. Wer mehr dazu erfahren möchte, kann sich Thomas N. Bulkowski Ausführungen durchlesen. Darauf aufbauend, kann man einen Kursverlauf lesen und die aktuellen Gegebenheiten ableiten. Die Zukunft allerdings nicht voraus sagen.
Davon sind langfristige Anlagen auf keinen Fall ausgenommen!!!
Ein Beispiel: https://de.tradingview.com/x/USaOosa2/
Das ist General Electric, einer der größten Mischkonzerne der Welt und sicherlich in zahlreichen Depots vertreten. Der Kurs ist in letzter Zeit abgestürzt. Seit 2009 befand sich der Kurs in einem Aufwärtstrend. Ich habe das mit zwei blauen Linien verdeutlicht. Bei einem langfristigen Anleger wären beim Durchbruch der unteren Aufwärts-Linie (gelber Pfeil) die Alarmglocken angegangen und der Wert unter Beobachtung gestellt worden. Er hätte seine Position etwas abgebaut. Spätestens beim roten Pfeil dann komplett herunter gefahren, weil da eine wichtige Unterstützung (24) durchbrochen wurde. Ab da heißt es abwarten, weil niemand weiß, wie tief es noch geht.
Durch drei einfache Linien hat man sich aktuell -8€ pro Aktien erspart, bzw. wäre schon +4€ zuvor heraus gegangen. Die gleichen Linien hätte man im Zeitraum 2003-2008 machen können. Den Absturz 2009 hätte man damit nicht voraus sehen können, aber spätestens bei 32€/28€ an der entspannten Seitenlinie gestanden. Wo der Kurs danach gelandet ist, sieht jeder selbst.
Kann natürlich alles nur Zufall sein. Der erspart aber rote Zahlen im Depot und damit reichlich Nerven.
Sehr schöner Artikel. Ich habe ebenfalls einige Einzelaktien zu meinem Weltportfolio gekauft und, da ich ja „Value“ kaufen wollte, auch vorher die Geschäftsberichte studiert. Erste Erkenntnis: die Zahlen bekommt man einfacher bei Morningstar o.ä. Zweite Erkenntnis: um mit den Zahlen etwas anzufangen muss man auch die der Konkurrenz kennen, selbst wenn man nicht vor hat diese zu kaufen. Dritte Erkenntnis: das es einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erstellen dieser Berichte gibt muss man jede Zahl hinterfagen wenn man Äpfel mit Äpfeln vergleichen will. Ich würde auf jeden Fall jedem der Einzelaktien hat empfehlen mal so einen Bericht zu lesen und zu verstehen(!), das ist schon hoch interessant. Aber vom Aufwand-Nutzen-Verhältnis ist der Indexfonds wohl unschlagbar.
Hi Barbaz,
schöne Schlussfolgerung. Ein paar Geschäftsberichte interessenhalber zu lesen, ist eine gute Sache. Sie sind definitiv interessant zu lesen und geben viele Informationen zu Branche und Unternehmen. Nur sollte man halt nicht erwarten, dadurch einen Vorteil bei der Aktienauswahl zu erlangen.
Wer Aktien nach Bauchgefühl kauft, verkauft auch Aktien nach Bauchgefühl. Gefühle haben an der Börse noch nie zu Überrenditen geführt. Insofern ist es in der Tat besser nur in ETFs zu investieren, wenn man auf Aktienanalyse keine Lust hat. Im Geschäftsbericht stehen keine Geheimnisse, sie helfen aber das Unternehmen besser zu verstehen. Negative Unternehmensnachrichten kann man viel besser einordnen, wenn man sich intensiv mit dem Unternehmen und der Branche! beschäftigt hat. Man weiß dann bei einer negativen Meldung, ob es sich jetzt um ein fundamentales und nachhaltiges Problem handelt und man die Aktie besser verkauft oder ob es eine gute Gelegenheit für einen Nachkauf ist. Man sollte daher bei der Analyse einer Aktie eher nach den Risiken und Problemfeldern suchen und nicht so sehr nach den positiven Aspekten. Dann unterliegt man auch nicht so sehr dem Confirmation Bias. Man sollte sich aber auch nicht zu Tode analysieren. Wenn man Unternehmen und Branche mit Chancen und Risiken verstanden hat, reicht das häufig schon aus.
Hallo, ich entscheide ebenfalls eher aus dem Bauch heraus, weil mich zB die Geschäftsidee überzeugt. Nichtsdesto trotz welche Kennzahlen (wenn es auch nur wenige sind) schaut ihr euch an? Bzw habt ihr hier Empfehlung für Literatur? (vielleicht kein 500 Seiten-Wälzer) 😉