Unsere Obsession mit Komplexität

Man liest häufig von der stets steigenden Komplexität unserer Zeit. Alles ist vermeintlich komplexer geworden: Internationale Politik, wirtschaftliche Zusammenhänge, Vermögensaufbau, Partnersuche. Die Folge scheint eine um sich greifende Verunsicherung zu sein. Orientierungslose Menschen suchen Halt entweder im stets wachsenden Angebot an Selbsthilfeliteratur (oder Podcasts, Blogs, Workshops) oder in einer Rückkehr zu überholten Werten.

Sicherlich sind viele Dinge heute komplexer und schnelllebiger als in der Vergangenheit. Die Generation der Millenials ist bezüglich der Digitalisierung Zeitzeuge der tiefgreifensten und rasantesten Entwicklung in Wirtschaft, Gesellschaft und Privatleben in unserer Geschichte. Während Generationen davor es sich noch leisten können diese Entwicklung weitestgehend zu ignorieren und es für Generationen danach absolute Normalität ist, haben Millenials die volle Wucht dieser Entwicklung zu spüren bekommen. Neben den vielen neuen Möglichkeiten und Annehmlichkeiten, die die Digitalisierung und globale Vernetzung mit sich bringen, scheinen sie auch grössere Verunsicherung im Gepäck zu haben. Anders kann ich mir viele der folgenden Entwicklungen nicht erklären.

Nun hängt die wachsende, oder vermeintlich wachsende, Komplexität vieler Kernbereiche unseres Lebens nicht ausschliesslich mit der Digitalisierung zusammen. Gesellschaftlich Phänomene, wie ein stärkerer Fokus auf Individualität, sind hier ohne Frage zuträglich. Dennoch scheint die ständige Verfügbarkeit von Informationen eine Art Katalysator für wahrgenommene Komplexität zu sein.

Komplexität betrifft nicht zuletzt auch den privaten Vermögensaufbau

Alles scheint irgendwie komplex geworden zu sein. Ein Beispiel, welches uns alle betrifft ist die Frage nach der optimalen Ernährung. Während es hier stets verschiedene Meinungen gab, konnte man sich dennoch auf eine gewisse Basis einigen, was „gesunde“ Ernährung ausmacht. Obst und Gemüse sind irgendwie gut, McDonald’s auf Dauer eher nicht so. Für die meisten Menschen war dieses Basiswissen vollkommen ausreichend. Nur Personen mit bestimmten Unverträglichkeiten und vielleicht Leistungssportler haben sich hier noch mit weiteren Feinheiten beschäftigt. Heute ist das deutlich komplexer. Wenn man durch das Netz stöbert, scheint es jede Woche eine neue ultimative Ernährungsweisheit zu geben: Low Carb, Ketogenic, Low Fat, Intermittent Fasting, Paleo oder auch die Ananas-Diät. Sind Kohlenhydrate jetzt gut oder schlecht? Ist Eigelb gesundheitsfördernd oder der böse Arterienblocker? Gibt es gesunde und ungesunde Fette oder ist das schon wieder überholt? Nun ja, alles eine Frage, wo auf dem Zeitstrahl wir uns gerade befinden und welche US-Uni gerade eine neue Studie an Mäusen durchgeführt hat. Nur eines ist sicher: Irgendwer hat schon das richtige Buch, das perfekte Produkt und den sexy Instagram Account am Start um den Trend aufzufangen. Und zu monetarisieren. Dennoch scheint der Anteil übergewichtiger Menschen eher zu steigen.

Ein weiterer Aspekt ist das Hobby. Nun wurde im Freizeitbereich stets gerne und viel gefachsimpelt. Das gehört dazu. Aber mittlerweile nimmt das ganz andere Ausmasse an. Nach einem Workout im Fitnessstudio bin ich mir manchmal nicht sicher, ob ich mich auf dem Weg in die Umkleide versehentlich in die benachbarte Apotheke verlaufen habe. Nach einer harten Einheit möchte ich diese Möglichkeit nicht gänzlich ausschliessen. Kaum betrete ich die Umkleide, in der man früher schnell duschte und dann ab wie raus aus dem Muff, treffe ich heute auf zahlreiche Hobby-Pharmakologen. Präzise werden hier mit Messbechern aus verschiedensten Dosen kostbare Pulver gemixt, mit Wasser gemischt, und durch ein animalisches „woaaaaah yeaaa“ begleitet, runtergespült. Dazu werden Fachgespräche geführt, die zu dem gesellschaftlichen Stereotypen des Durchschnittspumpers in maximalen Kontrast stehen. Chemisch-biologische Fachbegriffe wirbeln durch die stickige Luft. „Nein, Mann, ich nehme nur noch Creapure, standard Kreatin Monohydrat hat einfach zu viel Dicyandiamid und Thioharnstoff.“ „Ohne mein Pre-Booster geht nichts mehr – und kommt gleich mit BCAAs komplett.“ „Komme gerade ausm Urlaub. Erstmal L-Carnitine geschmissen um die Röllchen wegzubrennen.“
Während ich es schön finde, dass sich die Pumper stetig weiterbilden und die Naturwissenschaften ja eine Zukunftsbranche sind, frage ich mich schon, was aus den Zeiten geworden ist, als wir uns ein Iso-Getränk mit Zitrusgeschmack vom Aldi geholt und dann wie Profis gefühlt haben.

Ein riesiges Angebot an Selbstoptimierungsratgebern wird von vielen Menschen genutzt, um der wachsenden Komplexität zu begegnen. Dabei schaffen die ganzen Bücher, Podcasts und Blogs meist nur eines: Noch mehr Komplexität. Erfolgshungrige junge Leute probieren einen „life-hack“ und „habit“ nach dem anderen aus. Morgens wird meditiert, danach die Kräuter-Tee-Spezialmischung getrunken, anschliessend kommen ein paar Einträge ins „Gratitude-Journal“, danach mit ordentlich Fokus auf Achtsamkeit zum Yoga. Auf dem Weg zur Arbeit wird die neuste Podcast-Folge konsumiert. Im Büro angekommen müssen zunächst 2-3 Blogeinträge gelesen werden. Ausserdem klingt der Businessinsider-Artikel „5 Dinge, die erfolgreiche Menschen nicht tun“ vielversprechend. Zum Mittag gibt’s ne Schüssel Acai-Chia-Superfood. Nach getaner Arbeit geht es weiter zu einem Seminar zum Thema „Erfolgreicher mit der Kraft der Chakren“ (man kann ja nie wissen). Abends gibt es noch ne Hähnchenbrust mit Salz, welches argentische Bergmönche nur mit Hilfe ihrer Zehen ernten (#lowcarb, #fairtrade). Danach ist es auch schon Zeit für die Bett-Routine: Atemübung, Journaling, Bio-Gewürzmischung zur Beruhigung durch die Nase ziehen und dann je nach Mondphase die perfekte Schlafposition finden.
Wer sich übrigens wundert, warum man auch nach langfristiger Selbstoptimierung a la Podcasts und Lifehack-Bücher immer noch nicht erfolgreich ist, sollte sich eines fragen. Vielleicht hast du bei all der Selbstoptimierung und Vorbereitung eines vergessen: Die eigentliche Arbeit?

Beim Vermögensaufbau ist es nicht anders. Im Schatten der Finanzkrise scheinen sich immer mehr Menschen mit ihren Finanzen selber auseinanderzusetzen. Das Ansehen der Finanzberater und Banken hat, zu Recht, gelitten. Im Grunde eine positive Entwicklung. Andererseits kann man häufig beobachten, wie sich dieser positive Trend ins Gegenteil umkehrt. Während der private Vermögensaufbau eine simple Sache sein könnte, wird die Materie beliebig komplex dargestellt. Ich gehe d’accord damit, dass Anleger eine gute Basis an Finanzwissen aufbauen sollten, bevor sie sich für ein Investment entscheiden. Ich sage niemanden: „Halt die Klappe, kauf ETFs und danke mir in zwanzig Jahren.“ Allerdings habe ich das Gefühl, es ist für viele Anleger schwierig zu akzeptieren, dass es auf die komplexe Frage der besten Anlagestrategie einfache Antworten gibt. Es besteht fast eine Art Obsession mit Komplexität. „ETF klingt gut, aber ist ein Smart-Beta-ETF nicht besser?“ „Ich habe Kostolany gelesen, und meine wir befinden uns gerade am Ende des Zykluses. Ist es jetzt nicht Zeit defensive Aktien ins Depot zu legen?“
Befeuert wird dies auch durch eine stets wachsende Zahl an Finanzblogs und ähnlichen Webseiten. Jeder braucht Content, Content, Content. Und ein wenig Taschengeld. Daher wird von argentischen Bonds, über P2P-Abenteuer bis hin zur DIY-Aktienanalyse alles thematisiert, was dem interessierten Leser grundegal sein könnte. Im besten Falle ignoriert er oder sie das alles und denkt ein wenig selber nach. Im schlechtesten Falle wird der Leser durch so viel vermeintliche Komplexität abgeschreckt und hält sich vom Investieren fern.

Komplexität nutzt stets nur seinem Förderer

Beispiele, wie die oben genannten, gibt es unzählige. Wir alle kennen einige. Während so manches tatsächlich komplexer geworden sein mag mit der Zeit, so sind die meisten Aspekte in unserem Leben unverändert. Komplexität wird, insbesondere durch die neuen Medien, nur sehr effektiv erschaffen und anschliessend monetarisiert. Immer wenn man sich denkt: „Mensch das war früher einfacher!“. Sollte man sich fragen, ob hier die Dinge tatsächlich komplexer geworden sind, oder es einem nur vorgegaukelt wird. Wer würde von vermeintlicher Komplexität profitieren? Naja, meistens derjenige, der sie erst erschafft und dann freundlicherweise gegen ein Entgelt wieder löst.

Beispielsweise hat sich zwar das Ernährungsangebot vervielfacht, Ernährung selber ist aber nicht komplexer geworden. Dennoch wird reihenweise der Kopf ausgeschaltet und dem nächsten Trend gefolgt. Insbesondere zum Abnehmen gibt es hunderte Systeme. Dabei gilt heute, wie vor 100 Jahren: Abgenommen wird durch ein Kaloriendefizit. Egal wie dieses erreicht wird.

Die Mehrzahl der Nahrungsergänzungsmittel ist im besten Fall unnötig und teuer. Im schlechtesten Fall schädlich. Aber auf die Pulver und Tabletten gibt es eben eine atemberaubende Marge. Genauso bedarf es weder CrossFit noch 12.000 Euro Rennrad um fit zu werden. Auch hier gelten die gleichen Grundsätze wie vor 100 Jahren.

Selbstoptimierung ist zu einer gigantischen Industrie geworden. Während es einige sehr gute Bücher zum Thema gibt, gibt es auch eine Menge Müll. Es wird immer schwieriger zu differenzieren. Im Zweifelsfall gilt: Lieber mal ein Podcast weniger hören und dafür einfach eines machen: Machen.

Vermeintliche Komplexität in Sachen Finanzen ärgert mich am meisten. Vielleicht, weil die Materie an sich nicht unkomplex ist. Sie kann sogar beliebig komplex werden und ein Teilbereich dieser Komplexität füllt meinen eigenen Kühlschrank. Doch was die private Geldanlage angeht ist die Sache relativ einfach. Ein Basiswissen reicht und dann gelten dieselben Massstäbe wie vor Jahrzehnten. Hör auf dir eine Aktienanalyse nach der anderen auf den Blogs dieser Welt durchzulesen. Auch komplexe Finanzprodukte braucht es nicht. Lass P2P das sein was es ist: Eine Einkommensquelle für Anbieter und Blogger. Verschaff dir Grundlagenwissen, leg dir deine Produkte zurecht und dann „mach den Kopf zu und Chill“ (wie Sido damals so poetisch auf „Ansage Nr. 2“ formulierte). Im Gegensatz zu anderen Lebensbereichen (wie Ernährung, Fitness, Erfolg) ist die Empirie bei der Geldanlage nämlich recht eindeutig: Komplexität nützt lediglich der Finanzindustrie. Es gibt keinen positiven Zusammenhang zwischen in Marktrecherche investierter Zeit und Rendite. Sie ist in der Tat eher negativ. Das ist irgendwie ungerecht aber eine tolle Nachricht für Privatanleger.

Wenn du dich darüberhinaus, wie ich, für die Materie interessierst, frage dich stets: Wer profitiert von dieser Komplexität?

Cheers.

21 Kommentare

  1. Hi Pascal,

    schöner Artikel, alles steht und fällt letztlich mit Motivation und Antrieb. Und einer der Aspekte ist bei vielen Dingen im Leben der Wunsch alles bis ins kleinste zu Verstehen, bevor man loslegt.

    Im Sport, wo Leute echt wochenlang überlegen und 20 Paar Laufschuhe im Laden oder via Internet in der Wohnung testen, anstatt einfach mal mit den „alten Latschen“ die ersten Kilometer zu machen…

    Und auch bei den Finanzen, wenn einige über die steueroptimalste Lösung knobeln und dazu riesige Excel-Tabellen bauen, anstatt einfach mal einen (günstigen) World-ETF zu kaufen…

    Letztlich die Frage, was ist schlimmer: Etwas (falsch) machen oder einfach nichts machen?

    Meiner Meinung nach ist (fast) immer „nichts machen“ die schlechtere Wahl – beim Laufen, beim Anlegen, bei Erster Hilfe, … von daher, große Untersützung zu: Einfach mal MACHEN!

    Motivierende Grüße
    Thorsten

    • Hey Thorsten,

      absolut – anfangen ist die Hauptsache. Ich kenne viele Leute, die ueber Jahre Anlagestrategien theoretisieren, riesige Excel-Files anlegen und Musterdepots pflegen. Bringt leider am Ende gar nichts – vor allem keine Rendite.

      Beste Gruesse,
      Pascal

  2. Nimmt die Komplexität tatsächlich zu oder wird sie im Zuge der Digitalisierung einfach nur aufgedeckt?

    Natürlich kennt meine Oma nur „Friss die Hälfte“ und könnte mit BCAAs wohl wenig anfangen. BCAAs hat es zu ihrer Zeit auch schon gegeben, aber da hat – wie schön beschrieben wurde – niemand Profit draus geschlagen.

    Die Szene in der Umkleide vom Fitnessstudio ist übrigens sehr unterhaltsam beschrieben. 😀

    Menschen, die heute vielleicht 50 oder 60 sind, hätten nach dem ersten Gehalt wohl kaum ins Internet geschaut, um nach einer geeigneten Anlagestrategie zu schauen. Da war der Gang zum Bankberater eben normal und nach zwei Gesprächen war das Thema dann auch wieder für die nächsten Jahre erledigt. Ich finde es ja gut, dass so viele Informationen bereitstehen. Da wird es allerdings immer wichtiger, eine Art Filter zu entwickeln und sich nicht überfluten zu lassen, um ins Machen zu kommen.

    Cooler und erfrischender Artikel!

    Grüße
    Dominik

    • Hey Dominik,
      der Filter ist ein guter Punkt. Ich finde das selber zunehmend schwieriger. Es ist so einfach und guenstig geworden an Informationen zu kommen. Informationen aller Qualitaetsgrade. Manchmal muss ich mich selber davon abhalten auf den naechsten Link zu klicken und es einfach sein zu lassen. Ich bin selber ein Connaisseur was Laufschuhe angeht. Ich liebe das Laufen seit vielen Jahren. Ein guter Laufschuh ist viel wert aber auch eher individuell. So habe ich dann irgendwann eingesehen, dass es Zeitverschwendung Testberichte zu lesen und stattdessen handeln und ausprobieren.

      Beste Gruesse,
      Pascal

  3. Der Philosoph unter der Finanzbloggern meldet sich mal wieder zu Wort – Danke für den guten Artikel!
    Ich falle manchmal selbst fast diese Komplexitäts-Falle indem ich anfange über irgendwas ewig zu recherchieren statt mich kurz zu informieren und dann ins Tun zu kommen 🙂
    Grüße über den großen Teich
    Noemi Julia

    • Hey Julia,
      niemals weg gewesen – nur von der Seitenlinie zugesehen. Quasi 🙂
      Die Komplexitaetsfalle erwischt mich ebenfalls immer wieder. Ich habe neulich 20 Minuten recherchiert, welchen Rasierschaum ich bestellen soll…so eine Zeitverschwendung. Und das Ergebnis war auch enttaeuschend.

      Beste Gruesse und danke fuers Vorbeischauen,
      Pascal

  4. Schön, wieder von dir zu hören/lesen!
    Hab mir die Zeit derweil bei Mr. Money Mustache vertrieben. Danke für die Empfehlung, ist auch ein sehr lesenwerter Blog.

    Ich stimme dir zu, die Fülle an Informationen ist so überwältigend, dass es immer schwerer wird zu differenzieren, was wirklich „wichtig“ ist oder sein könnte. Wobei das auch wieder sehr individuell ist, was nun „wichtig“ ist.
    Es geht mir selbst so, ich will immer den bestmöglichen Weg, die bestmögliche Rendite mit dem möglichst geringsten Risiko haben. Aber das ewige planen, Bereitlegen, Risiko abwägen, verhindert manchmal, dass ich die Dinge einfach tue. Von daher Danke für den kleinen reality check.

    Ein bisschen kommt es mir aber derzeit vor wie im Film Matrix – in der Szene im Restaurant bei der Cypher dem Agent sagt: „Unwissenheit ist ein Segen“

    Vielleicht war es früher auch einfach so, dass die Leute einfach weniger über die von dir genannten Themen wussten/wissen konnten – damit aber auch ruhiger und zufriedener lebten, in dem sich weniger Gedanken gemacht wurde, da die Informationen nicht mit einem Klick greifbar waren. Getreu der Szene im Film Matrix – im Restaurant, als Cypher dem Agent sagt: „Unwissenheit ist ein Segen“ Vielleicht war das was dran?

    Grüße
    Gunnar

    • Hey Gunnar,
      Mr. Money Mustache ist eine grandiose Alternative. Er schreibt leider ebenfalls nicht mehr viel aber immer wieder interessant.
      Sehr passendes Zitat! Einerseits macht die einfache Verfuegbarkeit von Informationen es ueberhaupt erst moeglich sich Gedanken ueber die Geldanlage zu machen. Ohne die Vielzahl an Blogs und Buechern, waere ich wahrscheinlich auch zur Sparkasse gewackelt. Andererseits verlockt die Fuelle an Informationen auch dazu, sich in Details zu verlieren und das Handeln zu vergessen.

      Beste Gruesse,
      Pascal

  5. „Allerdings habe ich das Gefühl, es ist für viele Anleger schwierig zu akzeptieren, dass es auf die komplexe Frage der besten Anlagestrategie einfache Antworten gibt.“

    Ja, so ist es und ich meine wieder einen Trend zu komplexeren Produkten oder zur Anlage in einzelne Aktien zu erkennen. Wahrscheinlich ist die Spannung höher und man kann sich sowieso besser darüber austauschen.
    Bei vielen Finanzbloggern und Autoren ist deshalb für mein Empfinden auch die Luft raus. Von manchen bin ich inzwischen auch enttäuscht, wenn die Kernbotschaft der einfachen Anlage verloren geht.

    Beim Thema Ernährung würde ich nicht mal sagen das es immer komplizierter wird. Klar wird immer mal wieder eine neue Frucht oder Samen angepriesen. Es werden jedoch vielmehr sehr viele bereits bestehende Erkenntnisse immer wieder neu aufgewärmt und anders und sehr verkaufsfördernd präsentiert. Zu meiner Verwunderung funktioniert das wunderbar für die Anbieter.

    Aber gut, es gibt für alles einen entsprechenden Markt und es ist für mich alleine der Verbraucher, der nach einem bestimmten Angebot nachfragt.

    Danke für den sehr guten Beitrag!
    Ruben

    • Hey Ruben,

      den Trend beobachte ich ebenfalls. Er ist auch durchaus nachvollziehbar. Es ist nur schwer zu ertragen, wenn aus einem zeitlichen Investment in weiterfuehrende Finanzbildung nicht auch eine bessere Anlagestrategie erwaechst. Gefuehlt laufen da draussen ein Haufen selbsternannter Boersenprofis rum. Da will man nicht dieselbe Strategie fahren, wie der Index-Poebel. Das widerspricht dem Selbstverstaendnis.

      Hinsichtlich der Ernaehrung bin ich voll bei dir. Das wollte ich mit dem Artikel auch ausdruecken: Es wird nicht wirklich komplexer, die Komplexitaet wird nur von denen erfunden, die sie danach vermeintlich wieder loesen. Bei der Ernaehrung funktioniert das fuer die Industrie unheimlich gut. Fast erschreckend gut.

      Beste Gruesse,
      Pascal

  6. Den wichtigsten Fakt hast du dir für den Schluss aufgehoben: „Es gibt keinen positiven Zusammenhang zwischen in Marktrecherche investierter Zeit und Rendite. Sie ist in der Tat eher negativ.“ Sehr schön! Oder anders gesagt: „Je weniger du rummachst, umso größer der Erfolg.“

    Das widerspricht halt unser Intuition und allem was wir gelernt haben. Deshalb gibts dann 8 ETF-Sparpläne á 50 €, 6 P2P-Plattformen und Tagesgeld-Hopping. Aber irgendwann begibt sich eigentlich jeder auch wieder in ruhiger Fahrwasser, oder?

    Danke für den Link auf Ansage #2! 🙂

    • Hey Geldesser,

      das bleibt zu hoffen. In der Tat glaube ich, dass der fehlende linear-kausale Zusammenhang zwischen Input und Output bei der Geldanlage fuer eine Mehrheit der Anleger fuer immer inakzeptabel bleiben wird.

      Keine Ursache – dieses Stueck Musikgeschichte darf nicht in Vergessenheit geraten 😉

      Beste Gruesse,
      Pascal

  7. Hi Pascal, heute morgen habe ich auf dem Weg zur Arbeit wieder einmal über dieses Thema nachgedacht. Im Ohr hatte ich einen Podcast von einem Managementberater, der einmal mehr sagte, wir seien nun gerade in einer noch nie da gewesenen Zeit, Industrie 4.0, IoT, AI, etc. Alles würde sich ändern, die techologischen Entwicklungen würden alles verändern in einer nicht vorstellbaren Form. Und da ich schon mehr als 20 Jahre im Berufsleben stehe kann ich sagen: ich habe in den letzten mehr als 20 Jahren nie was anderes gehört. Wir hatten immer herausfordernde Zeiten vor uns, immer war etwas unsicher, immer wurde gesagt, die neue Komplextität benötigt besondere Tools zur Bewältigung. Aber im nachhinein war jede Zeit dann doch ganz normal verlaufen, und man denkt sich so in der Retrospektive: war da was? gab es eine Zeit vor dem iphone? gab es eine Zeit vor dem Internet? Ich gebe Dir recht, die Komplexität unserer Zeit wird vielfach künstlich dahergeredet. Vieles wird künstlich kompliziert gemacht und kompliziert dargestellt – was es nicht müsste. Die Dinge sind einfach da, die Zeit passsiert uns einfach, Entwicklungen geschehen und wir werden uns als Menschen darauf einstellen – manche cleverer, manche weniger clever, weil weniger reflektiert. Meine Strategie: den Themen begegnen wie sie kommen, vorausschauend agieren, aber keine Angst haben vor künstlichem Komplexitäts-Dahergerede. Stattdessen: Just Do It, tu es einfach! In diesem Sinne, Viele Grüße Andreas

    • Hey Finanzstratege,

      ich bin noch nicht so lange wie du im Berufsleben. Dennoch glaube ich, du hast mit deiner Beobachtung absolut Recht.
      Komplexitaet schafft Business. Angst vor Komplexitaet verschafft ohne Ende Business.
      Die Digitalisierung, Industrie 4.0, Blockchain etc. sind keine Hirngespinster aber ihr unmittelbarer Impact auf die meisten Leben- und Wirtschaftsbereiche wird gerne dramatisiert. Ich sehe das an vorderster Front bei den Beratungsgesellschaft dieser Welt. Fuer die ist die Digitalisierung, und vor allem die Angst der Unternehmen davor, eine Goldgrube. Dazu gab es auch mal einen guten Artikel im Manager Magazin. KPMGs Motto ist: „Cutting through complexity“. Ohne diese Complexity waere ihr Geschaeftsmodell tot. Zum wachsen braucht man also mehr Komplexitaet…

      Beste Gruesse,
      Pascal

  8. Sehr sehr guter Artikel! Wow, wahre und ehrliche Worte!

    Komplexität ist für Leute, die dafür Zeit übrig haben. Wenn man einen Job hat, der einen voll fordert, gut verdient und richtig Gas gibt muss ich keine Kräuter-Gratitute-Yoga-Tofu-Dinge machen. Ich steh auf, dusche kalt und gebe vollgas. Ein mal pro Woche wird das Firmenkonto gechecked und alles ist gut. Dafür bin ich dann auch dankbar!

  9. „Vermeintliche Komplexität in Sachen Finanzen ärgert mich am meisten.“
    „Es besteht fast eine Art Obsession mit Komplexität. „ETF klingt gut, aber ist ein Smart-Beta-ETF nicht besser?“
    „Wenn du dich darüberhinaus, wie ich, für die Materie interessierst, frage dich stets: Wer profitiert von dieser Komplexität?“

    Hi Pascal,
    du bist einer der ganz wenigen, der mir hiermit aus der Seele spricht. Ich interessiere mich auch für Komplexität, aber nur für die erforderliche, nicht für die künstliche. Bei der frage ich mich auch immer, „Wer profitiert von dieser Komplexität?“ Und dann poste ich meine Überlegungen in passenden Threads. Aber du glaubst nicht, welchen Anfeindungen ich wegen vermeintlicher Unterstellungen ich damit oft ausgesetzt bin. Ich frage dann oft zurück, ob die Verblödung schon so weit fortgeschritten ist. Damit wird man dann sehr schnell als Troll abgestempelt und du kommst dir vor, als wenn du auf der Autobahn vermeintlich in die richtige Richtung fährst, und alle anderen kommen dir entgegen.

    Was glaubst du, sind die meisten wirklich schon so verblödet von dieser eigennützigen Verkomplizierungsmaschine der raffgierigen Finanzindustrie, oder fahren wir beiden tatsächlich in die falsche Richtung? Wo führt das noch hin?

    Ein besonders krasses Beispiel auf dieser Verblödungswelle ist für mich der „Kommer“. Es gibt kaum ein Finanzblog oder -Forum, wo nicht genau diese Frage „ETF klingt gut, aber ist ein Smart-Beta-ETF nicht besser?“ im Zusammenhang mit diesem „Kommer“ immer und immer wieder von vielen Neueinsteigern gestellt wird. Wenn man dem Fragesteller dann klaren Wein einschenkt und die Interessenkonflikte dieses Kommer als Autor und Anlage-Berater-Verkäufer und seine Nähe zu dem sektenähnlichen US-Dreibuchstabenverein DFA aufzählt und absolut naheliegende Schlüssen daraus zieht, dass es ganz klar gezielt eingesetzte Finanzpornographie ist, wenn er einen Schwerpunkt in seiner aktuellsten Ausgabe von „Souverän investieren“ auf sogenanntes „Smart Beta“ legt und das mit „Passiv anlegen mit Turbo“ extra dick herausstreicht, dann wird man der Hetze bezichtigt und mancherorten sogar versucht rauszuflamen und zu -mobben.

    Ich habe zu Beginn meiner systematischen Anlegerkarriere Ende der 90er Bogle gelesen, habe mir dessen höchst anlegerorientierte, wohlfundierte Weisheiten eingebrannt und war seitdem vor allem Anlage-Modeschrott wie z.B. Rohstoff-ETFs vor ca. 10 Jahren, dann passives Factor Investing erst mit Single-Faktor- und jetzt Multi-Faktor-ETFs mit Turbo gefeit und halte mich zu meinem Vorteil einfach konsequent daran, d.h. keine verlustreiche Realisierung von „Tracking Error Regret“, wie z.B. Kommer jetzt selber mit seinen bis 2015 noch empfohlenen (!) Rohstoff-ETFs vorexerziert – aber natürlich nicht so für die Leser sonst lehrreich beim Namen genannt – kein Hin- und Herüberlegen, ob jetzt traditionelles Value mit neuestem Momentum kombiniert werden darf oder doch lieber gleich im Backtest überoptimiertes Multi-Faktor-Gedöns, sondern einfach Seelenfrieden und ordentliche Marktrendite quasi erschlafen mit Kostos berühmten Schlaftabletten. Wenn man dann den Verblödeten mit diesen positiven Erfahrungen und Verweis auf den Wohltäter Bogle nur helfen will, steht man oft ganz allein im Regen. Was läuft hier falsch? Wie kann man mit sowas fertig werden, ohne sich selber auszugrenzen?

    Hier ein aktuelles Beispiel:
    https://www.finanzwesir.com/blog/jensen-alpha-faktor ab „25. Juli 2018“ (auf Seite suchen).

    • Hey Smartinvestor,

      klingt so, als ob sich unsere Anlagephilosophien sehr aehneln

      Mit dem Bogle in die private Geldanlage zu starten, die Kosto-Pille einschmeissen und dann nie wieder ein Forum zum Thema Geldanlage betreten, ist wahrscheinlich die beste Investmententscheidung, die ein Privatanleger treffen kann. Dennoch interessiere ich mich fuer Finanzen und die Maerkte einfach zu sehr, um diese Artikel nicht zu lesen. Nur werde sie nicht meine persoenlichen Entscheidungen zur Geldanlage beeinflussen. Aehnlich wie du, beobachte ich zum Teil haarstraeubende Diskussionen auf den einschlaegigen Plattformen. Ich habe es zum Grossteil aufgegeben mich da einzumischen. Zu frustrierend. Bei vielen Privatanlegern fehlt eine solide Grundlage (wie bspw. Bogle oder auch Collins). Solche Anleger fallen vermeintlicher Komplexitaet und den darauf ausgerichteten Produkt schnell zum Opfer. Und verteidigen sie danach sogar vehement. Ein Trauerspiel. Ich glaube, man darf nicht versuchen, die ganze Branche zu bekehren. Wenn man eine handvoll Privatanleger von einer simplen, low-cost Investmentphilosophie ueberzeugen kann, ist schon viel gewonnen.

      Beste Gruesse,
      Pascal

  10. Vielleicht noch ein Punkt zum nachdenken: Viele Sachen fangen ja sehr einfach an und werden dann immer komplexer.

    Also um im Bereich der Finanzen zu bleiben…gefühlt war es vor 10 Jahren als ich angefangen habe einfacher eine Idee zu finden, welche ETFs man kauft / wie man diese aufteilt (Welt: BIP abbilden, TER möglichst niedrig, fertig). Da waren bestimmt „Fehler“ drin und nicht alles optimal…aber man konnte der Idee folgen, es gab keine Widerworte und man hat einfach mal angefangen.

    Dann kamen mehr Anlageklassen – Rohstoffe, Immobilien, P2P, … Und irgendwie habe ich heute das Gefühl, wenn ich nochmal anfangen müsste, ich wäre etwas verloren.

    Woran liegts?

    Komplexität einfach am Anfang von keinem durchschaut? Je mehr Leute interessiert sind, desto mehr Meinungen? Je eher etwas kommerzialisiert wird, desto komplexer dargestellt (weil man will ja „seines“ verkaufen)?

    • @Pascal
      „Ich glaube, man darf nicht versuchen, die ganze Branche zu bekehren.“
      Das ist auch nicht meine Hauptmission. Da ich selber reine Beta-Assets und unkorrelierte, reine Alpha-Assets kombiniere, um damit ein beträchtliches, risikoadjustiertes Rebalancing-Alpha bzw. -Mehrrendite langfristig systematisch zu erzieen, nehme ich nur immer mal wieder gern eine Stichprobe von der Irrationalität im Markt. Dazu taugen diese online Diskussionen sehr gut. Denn die brauche ich ja, damit meine reinen Alpha-Assets gut performen. Bis jetzt mache ich mir da keine Sorgen, da diese von der geldgierigen Finanzbranche und deren publizistischer Büttel getriebene Massenverblödung immer mehr zunimmt.

      Dieser über alle Zweifel erhabene, wissenschaftliche Vanguard-Artikel „Joined at the Hip“ (https://www.vanguard.com/pdf/s319.pdf) führt drastisch vor Augen, auf welchen Riesen-Schwindel immer mehr unbedarfte, vermeintlich passive Anleger mit den sogenannten Smart Beta EFTs hereinfallen. Denn im breiten statistischen Durchschnitt erzeugen alle im Backtest über-optimierten Faktor-ETFs ab Auflage eine Minderrendite im Vergleich zu ihren meistens ebenfalls neu aufgelegten passiven Indzes, die bei -1% p.a. liegt und in etwa der unnötig hohen Kostenbelastung entspricht. Marktbreite Standard-ETFs liegen mittlerweile um eine ganze Größenordnung darunter.

      Nach Abklingen des bisherigen Schwindels mit aktiven Publikumsaktienfonds, der ja von Fama und Frech eindeutig wissenschaftlich nachgewiesen wurde in „Luck versus Skill in the Cross-Section of Mutual Fund Returns“ (http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.479.3099&rep=rep1&type=pdf), brauchte die Finanzbranche eine neue lukrative aber leistungsfreie Einnahmequelle und missbraucht dazu hemmungslos die von Bogle selbtslos initiierte passive Anlagewelle auf das Schändlichste!

      @Thorsten
      „Je eher etwas kommerzialisiert wird, desto komplexer dargestellt (weil man will ja „seines“ verkaufen)?“
      Genauso ist es. Und davon profitiert die gesamte Finanzbranche: die Fondsgesellschaften von höheren Gebühreneinnahmen, die Depotbanken von mehr Transaktionen und die Anlageberater von mehr Umsatz durch mehr Kunden. Denn die werden von der ganzen künstlichen Komplexität komplett verwirrt und laufen den Berater-Verkäufern nach langer halbwegs aufgeklärter Eigenverantwortung dadurch endlich wieder vermehrt in die Fänge. Da von denen praktisch keiner dort einen Vorteil hätte, Anleger über diese Win-Lose Situation aufzuklären, liest man fast nur noch kritiklose Lobpreisungen vom „Passiven Anlegen mit Turbo“, wie z.B. wortwörtlich im „Kommer“.

      Der Gegenbeweis ist Vanguard. Diese haben diese Faktor-ETFs ja auch vermutlich wegen erheblicher Kundennachfrage im Angebot. Aber die sind m.W. die Einzigen, die diese Finanzmodeartikel objektiv und kritisch darstellen, wie im o.a. Artikel. Denn die müssen ja nichts daran verdienen.

      Hier in der original „Bogle Bible“ “The Little Book of COMMON SENSE INVESTING – The Only Way to Guarantee Your Fair Share of Stock Market Returns” (http://213.55.83.214:8181/Management/01278.pdf), von der ich Ende der 90er Jahre schon Vorläufer-Artikel gelesen habe, steht die klare Wahrheit über Indexfonds drin, die sich seitdem nicht verändert hat. Einfach nur ein paar ganz wenige kostengünstigste, marktbreite Indexfonds aka ETFs sind das beste und einfachste, was ein Privatanleger heute tun kann. Punkt.

      • Hi Smartinvestor,

        bei Vanguard bin ich mir in Europa nicht ganz sicher, ob Dein Argument „müssen nichts verdienen“ passt. In den USA ganz sicher, da die dort als eine Art Genossenschaft organisiert sind und jeder der Anteile über die hält damit auch Anteil an der Genossenschaft hat.

        Ich meine aber mal gelesen zu haben, dass diese Konstruktion in Europa nicht zulässig ist und die hier als „normale“ Fondsgesellschaft organisiert sind – mit dem Effekt, dass der Europa-Teil dann schon eine Gewinnerzielungsabsicht hat – oder haben könnte!?

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